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Guy Clemens, Stefan Hunstein und Karin Moog.

Houellebecq zum Zweiten

Unterwerfung in Bochum

In Michel Houellebecqs 2015 am Tag der Pariser Attentate u.a. auf die Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo bei Flammarion in Paris erschienenem Roman Soumission, der noch im gleichen Jahr auf Deutsch bei Dumont herauskam, konvertieren gleich reihenweise westliche Menschen, zumeist Pariser Sorbonne-Akademiker, zum Islam. Was damit zu tun hat, dass im Jahr 2022 in Frankreich ein charismatischer muslimischer Napoleon namens Mohamed Ben Abbes, der sich in erster Linie als ein Machtpolitiker versteht und erst in zweiter als ein Muslim, zum Staatspräsident gewählt worden ist. Und als erstes die laizistische Verfassung durch eine Theokratie ersetzt, das Patriarchat samt Polygamie einführt, was sogleich zur Entlastung des Arbeitsmarktes führt, und Recht nach der Scharia sprechen lässt, was mit einem Schlag die Kriminalität in den Banlieues genannten Randgebieten der großen Städte minimiert. Die Linke muckt ein wenig auf, nickt aber schließlich alles ab wie der aus den Reihen der Bürgerlichen stammende Premierminister Francois Byron, den Houellebecq auch im französischen Original mit dem deutschen Wort Hanswurst charakterisiert.

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Francois (Bochum-Rückkehrer Stefan Hunstein), ein 44-jähriger Literaturwissenschafts-Professor an der Pariser Sorbonne, hat sein ganzes Forscherleben dem Schriftsteller Joris-Karl Huysmans gewidmet. Welcher sich vom Naturalisten zunächst zum Symbolisten wandelte und dann just im Alter seines Exegeten Francois heute zum Katholizismus konvertierte. Auch Francois, wie sein Schöpfer Houellebecq überzeugter Agnostiker, sieht sich plötzlich mit Glaubensfragen konfrontiert. Denn seine Ex“Myriam (ebenfalls wieder zurück auf den Brettern an der : Karin Moog), mit der er wie mit allen ihren studentischen Vorgängerinnen in den Jahren zuvor zum Ende des Semesters Schluss gemacht hat, will zusammen mit ihrer jüdischen Familie nach Israel auswandern in ein Land, das ihr nicht nur aus sprachlichen Gründen völlig fremd ist.

Das hochdotierte, alkohol- und nikotinreiche Singledasein ist trotz professionellem Escortservice für Francois ebenso unbefriedigend wie ein rasch abgebrochener Aufenthalt in dem Kloster, wo er einst seine Dissertation über den zum Katholizismus konvertierten Dichter verfasste. Da kommt ihm das Angebot des neuen Sorbonne-Rektors Rediger (überragend: Mourade Zeguendi), neben der Herausgabe einer historisch-kritischen Werkausgabe Huysmans' wieder seine universitäre Lehrtätigkeit aufzunehmen, gerade recht. Freilich müsste er Muslim werden. Rediger, einst glühender Nietzscheaner, ist völlig unabhängig vom Ausgang der französischen Präsidentenwahl zum Islam übergetreten nach der Schließung seiner Brüsseler Jugendstil-Lieblingsbar Metropol, für ihn gleichbedeutend mit dem Untergang des Abendlandes. Er macht Francois nicht zuletzt mit der Verheißung junger, unterwürfig-williger Frauen in seinem nicht nur staatlich sanktionierten, sondern durch Heiratsvermittlerinnen geradezu geförderten Harem die Entscheidung leicht...

Karin Beier hat die gut 270seitige realsatirische Dystopie Houellebecqs 2016 am Deutschen Schauspielhaus Hamburg zu einer 160minütigen Spielfassung eingedampft. Diese, noch im gleichen Jahr bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen gezeigt, verzichtet auf die langatmig geschilderten politischen Konstellationen zwischen den etablierten französischen Parteien, setzt beim Figurenarsenal kräftig den Rotstift an und konzentriert sich auf Francois als handelnde Person und (Ich-) Erzähler, der zwischendurch auch 'mal in andere Rollen wie die seiner Kollegen Marie-Francoise und Rediger schlüpft.

Der überragende, in Hamburg wie in Recklinghausen mit stehenden Ovationen gefeierte Edgar Selge agiert auf einem stets in Bewegung gehaltenen Spielpodest, bei dem es sich um einen Leerraum in Form eines christlichen Kreuzes handelt, das aus einem Kreis ausgespart worden ist. Mit diesem dreht sich die Leerstelle, Symbol für die weitgehende Abwesenheit christlichen Glaubens und christlicher Werte im Mitteleuropa des 21. Jahrhunderts. Auch die von Gert Becker im Februar 2018 am Westfälischen Landestheater Castrop-Rauxel inszenierte Fassung ist ein Monodram, lässt die Figur des Francois aber von gleich vier Schauspielern verkörpern. Die, auf einem überdimensionalen Sofa an der Rampe sitzend, sich gegenseitig ins Wort fallen und so die verschiedenen Facetten des Protagonisten verdeutlichen.

Nachdem er bereits 2005 am NTGent Plattform inszeniert hat, bringt Johan Simons 2017 am renommierten belgischen Theater Unterwerfung in einer Adaption von Jeroen Versteele heraus – als Doppelvorstellung in Bert Neumanns Plattform-Bühnenbild. Das auf gut einhundert Minuten allzu stark zusammengestrichene Precis der Romanvorlage ist nun neu besetzt am Schauspielhaus Bochum wiederaufgenommen worden. Neben Francois, Myriam und Rediger stehen als Scharnier zu „Plattform“ mit Steve (Guy Clemens) und Marie-Francoise (Mercy Dorcas Otieno) noch zwei zum Islam übergetretene Pariser Hochschullehrer auf der Bühne. Im Mittelpunkt aber steht der 1980 in Belgien geborene Schauspieler und Theatermacher Mourade Zeguendi, mit seinem belgischen Theaterkollektiv Action Zoo Humain Co-Produzent beider Simons-Inszenierungen am NTGent. Dieser wandlungsfähige, auf der Bühne wie auf Leinwand und Bildschirm stets ungemein präsente Darsteller macht aus dem zynisch-nonchalanten Wendehals Rediger der Romanvorlage, der die französische Elite-Hochschule Sorbonne, einst Hochburg der linken Intellektuellen Frankreichs, in eine Islamische Universität verwandelt, zu einem radikalen Islamisten im Gewand eines sich unpolitisch, ja geradezu laizistisch gebenden mephistophelischen Verführers.

Mit einem breiten Lächeln der Unschuld legt er der im aufreizenden langen Roten durch Neumanns Zivilisationsmüll stöckelnden Karin Moog eigenhändig das Kopftuch an. Und gibt Guy Clemens, bezeichnenderweise im legeren T-Shirt mit Fly Emirates-Werbung unterwegs, präzise Anweisungen für die obligatorischen Waschungs-Zeremonien. Schließlich fordert er das Parkett auf, sich beim Erklingen der französischen Nationalhymne Marseillaise, in der viel vom Kampf um die Freiheit der Republik die Rede ist, zu erheben. Dieser Rediger kommt als launiger Welt-Erklärer mit Entertainer-Qualitäten daher, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen: Aus solchem Holz sind Populisten unserer Tage geschnitzt.

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Was ist das vollkommene Glück? Die Unterwerfung der Frau unter den Mann. Für den Mann. Und die Unterwerfung des Mannes unter den Islam. Für den Islam. Als Francois die – im Gegensatz zu anderen Religionen einschließlich des Christentums – sehr kurze rituelle Unterwerfungsformel sprechen soll, um seine Professur an der Sorbonne wiederaufnehmen zu können, ziert er sich: Stefan Hunstein sitzt auf einem Polstersessel und starrt gefühlt minutenlang ins Leere, bis er sich von einem Matratzenberg hinunter bis an die Rampe kugelt. Ob dieser schrecklich larmoyante Kultur- und Lebenspessimist den letzten Schritt vollzieht, bleibt in Johan Simons‘ Inszenierung offen. Sie knüpft in ihrer ironischen Lockerheit und verfremdenden Gebrochenheit an „Plattform“ an, Simons meint aber nicht ganz zu Unrecht auf drastischere Mittel wie eine reflexartig sogleich vom Fernsehen ausgiebig gezeigte Nacktszene setzen zu müssen, um manch‘ langatmigen Passagen ein Ausrufezeichen entgegenzusetzen.

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  • Mittwoch, 30. Januar 2019, um 21:15 Uhr
  • Freitag, 8. Februar 2019, um 21:45 Uhr
| Autor: Pitt Herrmann