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Theater Kohlenpott (Archivbild)

In den Flottmannhallen: Patricks Trick

Der elfjährige Patrick (Manuel Moser) hätte gerne einen großen Bruder. Zum Anlehnen, aber auch für gemeinsame Unternehmungen. Auch wenn sein bester Freund und Klassenkamerad Valentin (Jan-Friedrich Schaper) nicht die besten Erfahrungen mit seinem gemacht hat: „Der nervt!“ Weil dieser ständig sein Fahrrad oder seinen MP 3-Player in Beschlag genommen hat. Patrick aber weiß solche mit großem Aplomb vorgetragene Beschwerden ganz richtig einzuschätzen: in Wirklichkeit ist Valentin stolz auf den „Großen“ an seiner Seite – und im Bedarfsfall sowieso.

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Das mit dem großen Bruder klappt ja nun nicht mehr, aber mit einem kleinen könnte es etwas werden. In absehbarer Zeit sogar, wie Patrick einem heimlich erlauschten Küchengespräch seiner Eltern entnimmt. Freilich: So richtig sicher ist das noch nicht – bis auf die erneute Schwangerschaft. Denn ein medizinischer Test hat ergeben, dass der noch Ungeborene behindert sein wird und wahrscheinlich nie richtig sprechen lernt. Kann man der Familie und vor allem Patrick einen solchen Bruder überhaupt zumuten? Da haben die Eltern, die nicht ahnen können, dass sie nun schon seit geraumer Zeit auch des Nachts belauscht werden, und das nicht nur bei fahrlässig geöffneter Küchentür, freilich nicht mit ihrem willensstarken Sprössling gerechnet: Patrick beschließt, Himmel und Hölle in Bewegung zu setzten, damit er in die Lage versetzt wird, seinem Bruder in spe das Sprechen beizubringen. Der viel zu sehr mit sich selbst beschäftigte Valentin ist ihm bei der Suche keine große Hilfe, immerhin aber macht er ihn mit dem Fitness-Freak Danijel, der erst vor vier Jahren aus Kroatien nach Deutschland gekommen ist und unsere Sprache von der Pike an neu lernen musste, bekannt.

Und dessen Boxtrainer, der Patrick unerwartet weiterhilft: Er müsse ausdauernd mit seinem Bruder reden, damit dieser über das Hören zum Verstehen und im Idealfall auch zum Sprechen komme. Er dürfe sich dabei aber nicht aus dem Konzept bringen lassen etwa durch den Eindruck, der Adressat all' seiner Bemühungen wisse diese nicht zu würdigen. Ausdauer sei gefragt – beim Training im Boxring wie bei der Sprecherziehung daheim. Auch die Deutschlehrerin Schlepper, eine offenbar autistische Gemüsehändlerin und ein von allen nur Professor genannter Kenner des Lyrikers und Worterfinders Paul Celan helfen ihm Stückchen für Stückchen weiter in der Erkenntnis: „Man ist nicht behindert, man wird behindert.“ Patrick erfährt an sich selbst, wie schnell und ganz selbstverständlich ein Mensch (hinzu) lernen kann, wenn er sich nur traut, Fragen zu stellen – selbst auch an Personen wie Danijel, denen man sonst auf der Straße lieber ausweichen würde. Obwohl, und hier kommt ein ganz praktisches Trainingsprogramm seines Freundes Valentin zur Anwendung, muss auch die emotionale Seite stimmen: Valentin führt ihm verschiedene Stadien körperlicher und geistiger Behinderung vor und Patrick lernt, beruhigend auf den Verkrampften einzuwirken. Wobei ihm dabei die Musik ein wichtiger Helfer ist - ein besonderes Kapitel in Patricks Trick, auf das wir noch zurückkommen. Als es soweit ist und Papa die Mama in rasender Geschwindigkeit zur Klinik fährt, ist Patrick jedenfalls bestens vorbereitet: „Ich wollte immer einen großen Bruder, jetzt bin ich selber einer.“

Kristo Sagor, 1976 im niedersächsischen Stadtoldendorf zur Welt gekommen, schaffte mit Durstige Vögel, 2000 am Schauspielhaus Bochum herausgekommen, seinen Durchbruch als Dramatiker. Patricks Trick, am 18. September 2014 im Leipziger Theater der jungen Welt uraufgeführt, wurde 2013 mit dem Berliner Kindertheater-Förderpreis und im Jahr darauf mit dem Jugendtheaterpreis Baden-Württemberg ausgezeichnet. Frank Hörner hat das Stück für Zuschauer ab zehn Jahren 2015 mit zwei herausragenden Kölner Schauspielern am Theater Kohlenpott in den Flottmannhallen inszeniert. Wie vom Autor vorgesehen lässt Hörner die Geschichte von Patrick selbst erzählen – und von seinem ungeborenen Bruder, wobei beide innerhalb weniger Augenblicke in mehr als ein Dutzend Rollen schlüpfen in Sigrid Trebings varietehafter Einheitsbühne mit Lamettavorhang und zwei von Lichterketten eingerahmten Turnmatten. Sagors Trick ist ein veritabler V-Effekt: die Brüder, wie Zwillinge gekleidet in schwarzem Anzug mit Fliege und nostalgischen schwarz-weißen Steppschuhen, bilden ein wundervoll swingendes, singendes Entertainer-Paar. Count Basie legt mit Fly Me to the Moon los, am Ende ist Frank Sinatra mit diesem Evergreen, der sich wie ein musikalischer Roter Faden durch die gut einstündige Inszenierung zieht, zu hören.

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Und zwischendurch immer wieder die beiden großartigen Schauspieler selbst, die stets mit dem jungen Publikum im Blick agieren, beim Small-Talk wie bei den zahlreichen emotionalen Szenen, in denen Freude und Trauer eng beieinander liegen, oder bei geradezu artistischen Einlagen. Für Manuel Moser, Jahrgang 1978, wechselweise in Köln und Berlin lebend, ist Patricks Trick schon die dritte Arbeit in Herne nach Du, du und ich und Leider Deutsch. Jan-Friedrich Schaper ist 1985 in Hamburg zur Welt gekommen, gehörte zuletzt über viele Jahre zum Ensemble des Jungen Theater Bremerhaven und ist in beinahe in allen künstlerischen Genres daheim. Wer neben der Schauspielerei auch noch Akrobatik, (Stepp-) Tanz, Stunt, Fechten und, vokal wie instrumental, Musik auf seine Visitenkarte schreiben kann, ist für eine Produktion wie Patricks Trick eine Idealbesetzung.

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  • Freitag, 25. Januar 2019, um 11 Uhr
  • Montag, 28. Januar 2019, um 11 Uhr
| Autor: Pitt Herrmann