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Guido Thurk und Franziska Ferrari.

TV-Kultserie überlebt auf Bühnenbrettern

Tatortreiniger Mädel im Ruhrfestspielhaus

Heiko Schotty Schotte (Bjarne Mädel) kommt zum Tatort eines Gewaltverbrechens, wenn die Polizei samt Spurensicherung ihre Arbeit getan und ein Bestattungsunternehmen die Leiche abtransportiert hat. Im Auftrag der Firma Lausen GmbH beseitigt er die Reste der Tat. Schotty schreckt nichts, wenn er sein Goldkettchen am Hals mit einem klinisch weißen Overall verbirgt und seinen Schuhen Plastikschoner überzieht. Ganz wichtig: Mundschutz. Denn er rückt den Flecken von Blut und anderen Körperflüssigkeiten nicht nur mit Bürsten, Schrubbern, Schwämmen und Seife zu Leibe, sondern auch mit einer ganzen Reihe chemischer Substanzen.

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Es ist eine Wissenschaft für sich, für jeden Stoff, jeden Fußbodenbelag, jedes Möbelstück oder jede Wandbespannung die richtigen Mittel auszuwählen und bei Bedarf zu kombinieren. Gefragt ist freilich auch Empathie und Geistesgegenwart, wenn er mit kindlicher Unschuldsmiene und ganz offener, unvoreingenommener Neugier jeden Tag völlig fremden Menschen begegnet: Hinterbliebenen, Mitbewohnern und Bekannten der Opfer oder einfach nur Leuten, die rein zufällig vorbeikommen.

Ingrid Lausund, Ingolstädterin des Jahrgangs 1965, Dramaturgin und langjährige Hausautorin am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, hat die Drehbücher für die von Arne Feldhusen (Stromberg) verfilmte TV-Serie Der Tatortreiniger unter dem Pseudonym Mizzy Meyer geschrieben – und das mit hintergründigem Witz. Nach 31 dreißigminütigen Episoden, die der Norddeutsche Rundfunk zwischen 2011 und 2018 in sieben Staffeln produziert hat, war Schluss mit lustig. Nun überlebt die Kultserie auf Bühnenbrettern.

In Nicht über mein Sofa wird Schotty an den Ort eines verhinderten Diebstahls mit tödlichen Folgen für den Täter gerufen: der Defa-Star Christine Schorn verkörpert in der erstmals am 27. Dezember 2011 ausgestrahlten Folge eine elegante, etwas schwerhörige alte Dame, die dem Tatortreiniger erst nach langwierigen Kontrollen Zutritt zu ihrer mit wertvollen Antiquitäten ausgestatteten Villa gewährt – und nach und nach Einblick in einen Tathergang, der vom offiziellen Polizeiprotokoll erheblich abweicht.

Über eine große Portion hintergründigem Witz verfügt auch die Adaption des Westfälischen Landestheaters, die vom Premierenpublikum am Castrop-Rauxeler Europaplatz begeistert aufgenommen worden ist. Was vor allem an Schotty-Darsteller Guido Thurk liegt, einem begnadeten Slapsticker und gebürtigen Hamburger wie Bjarne Mädel. Der Hansdampf in allen Gassen bringt sprachlich weit mehr Lokalkolorit ein, ist sein eigener Geräuschemacher und unterstreicht in Gestik und Mimik die Einzigartigkeit des Live-Mediums Theater.

Regisseur Ralf Ebeling und Dramaturg Christian Scholze haben sich für eine Episode aus der ersten (2011) und zwei aus der dritten Staffel (2016) entschieden und sie mit nur wenigen, vor allem die Ausstattung (Jeremias H. Vondrlik) betreffenden Details verändert. Vesna Buljevic ist nun die gnädige Frau Hellenkamp, auf deren Sofa einst Johannes Brahms, Herbert von Karajan und Gustaf Gründgens gesessen haben, weshalb sie es dem Einbrecher nicht verzeihen konnte, das edle Stück mit seinen Straßenschuhen zu entweihen. Für Michael Hanemann als heimlicher Verehrer Jost steckt hier am WLT mit Mario Thomanek ein viel zu junger Pfeffersack im Clubsakko. Auch in den beiden weiteren Folgen muss Schotty mitfühlend zuhören, Verständnis zeigen, trösten, raten – und vor allem seinen gesunden Menschenverstand sprechen lassen.

In Özgür übernimmt Franziska Ferrari die Rolle Sandra Hüllers als hochschwangere Gutmensch-Frau, die in Entsprechung des Films Der Vorname, der gerade in unseren Kinos läuft, ihrem noch ungeborenen Sohn bewusst einen türkischen Vornamen verpassen will, um ihn zu einer eigenständigen Persönlichkeit heranwachsen zu lassen. Und in Sind sie sicher? lässt Heiko Schotte den von Mario Thomanek mit Verve verkörperten Geschäftsführer einer Consulting-Firma spüren, wie es sich anfühlt, vom mobbenden Chef verunsichert zu werden.

"Beim Tatortreiniger“, so Regisseur Ralf Ebeling, „geht es in Wirklichkeit aber gar nicht darum, was da weggeputzt werden muss. Sondern, dass man an diesem Ort auf Leute trifft. Das ist einfach sehr schlau gemacht von den Machern der Serie. Denn der Tod passiert überall. Das heißt, die Hauptfigur kann mit vollkommenen verschiedenen Menschen zusammenkommen und es gibt eben keine Einschränkungen, was soziale Schichten oder das Alter betrifft.“ Ob es sich um die wohlhabende Seniorin Hellenkamp handelt, die ihren Maserati nur zu Friedhofsbesuchen nutzt, oder um die hochschwangere Silke Hansen in der Landpension gleichen Namens, die ihr Kind partout nicht im Krankenhaus zur Welt bringen will – es sind auf den ersten Blick recht skurrile, auf den zweiten aber doch alltägliche Menschen, mit denen sich Schotty konfrontiert sieht.

Der Wiedererkennungswert für Serienfans ist hoch, dennoch gibt es bei Bühnenadaption natürlich einige Änderungen: „Der lakonische Fernsehton, der in dieser Serie wirklich wunderbar umgesetzt wird, der funktioniert auf der Theaterbühne so nicht. Da hört schon in der zweiten Reihe niemand mehr, was vorne gesagt wird. Wenn man das so spielen würde, wirkt das auf der Bühne immer unterspannt, unbeteiligt, gelangweilt. Wenn man aber zu viel macht, dann gerät man ganz schnell in so eine Klamotten-Schiene und das ist auch der Sache nicht angemessen“, so Regisseur und WLT-Intendant Ralf Ebeling. Dessen zweite Inszenierung dieser Spielzeit am 14. April 2019 im WLT-Studio Premiere feiert: Good Morning, Boys und Girls, ein Jugendstück zum Thema Amokläufe von Juli Zeh.

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Nicht zuletzt durch die amerikanischen Streaming-Dienste boomen Serien auf dem heimischen Smart-TV-Bildschirm. Die Tatortreiniger-Inszenierung soll keinen neuen Trend zu Serien-Adaptionen am WLT begründen, so Ebeling: „Man soll niemals nie sagen, aber bei dieser Serie machen wir das aufgrund ihrer Qualität. Außerdem ist sie ohnehin sehr theaternah. Es sind quasi lauter kleine Kammerspiele. Was nicht zuletzt damit zu tun hat, dass die Autorin eigentlich vom Theater kommt. Da ist eine Theaterautorin fremd gegangen im Fernsehen und wir holen uns das jetzt wieder zurück.“

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  • Mittwoch, 13. Februar 2019, um 19 Uhr
| Autor: Pitt Herrmann