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theater kohlenpott: Silence oder: Wie ich aus dem Fenster klang: Michael Habelitz, Maria Trautmann und Lea Kallmeier.

Kohlenpott-Produktion zum Westwind-Festival eingeladen

Silence oder: Wie ich aus dem Fenster klang

Johannas Eltern gehen aus. Das junge Mädchen bleibt zum ersten Mal allein zu Haus. Den ganzen Abend! Ein Gute-Nacht-Kuss und die Tür wird geschlossen. Und jetzt? Allein einschlafen? Von wegen! Johanna (Maria Trautmann) öffnet das Fenster: Es rauscht und raschelt, brummt und quietscht von draußen rein. Ist das nur Lärm – oder vielleicht doch Musik?

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Die Junge Bühne Bochum (JuBB) hat mit „Silence oder: Wie ich aus dem Fenster klang“ ein Kindertheaterstück für alle ab fünf Jahren geschaffen, dass die Grenzen zwischen Theaterstück, Performance und Konzert verschwimmen lässt. Nach einem einleitenden Satzbildungs-Spiel im Foyer erzählen Michael Habelitz, der Noten-Angler ist auch fürs Bühnenbild zuständig, Lea Kallmeier, Maria Trautmann und der Musiker Manuel Loos auf dem weißen Bühnen-Quadrat eine kleine Abenteuergeschichte des Alltags. Die mit dem Aufstehen nach nervtötend klingelndem Wecker, Waschen und Zähneputzen, Ankleiden und Zimmerlüften beginnt - weitgehend ohne Worte und ohne feste Rollenzuschreibungen.

theater kohlenpott: Silence oder: Wie ich aus dem Fenster klang: Maria Trautmann ist Johanna.

Nach dem Radio-Wetterbericht scheint es ratsam, Mantel und Stiefel anzuziehen und den Regenschirm nicht zu vergessen. Und noch schnell 'mal auf die Toilette, bevor es nach draußen geht – in eine Welt zwischen Vogelgezwitscher-Idylle und so lärmendem wie gefährlichem Autoverkehr. Erzählzeit ist erzählte Zeit – und der Alltag die Wiederholung des Immergleichen. Doch dann nimmt das vierköpfige, von Esther van de Pas eingekleidete Ensemble mächtig Fahrt auf: das auch als Geräuschemacher furiose Quartett stellt nicht nur unterschiedliche Figuren dar, sondern mutiert plötzlich auch selbst zu Einrichtungsgegenständen. Oder zu Musikinstrumenten und erschafft so gleichzeitig Klänge und Musik. Dabei stellt sich die Frage, ob die Musik aus der Situation entsteht, oder die Situation aus der Musik, immer wieder neu. Schließlich: Wenn Johanna träumt, erscheinen ihr zum Glück nicht allzu gruselige Traumwesen im Schlaf.

„Silence oder: Wie ich aus dem Fenster klang“ ist ein Musiktheaterstück drei nach Ideen von John Cage. Der weltberühmte amerikanische Komponist ist sein Leben lang neugierig wie ein Kind geblieben: Er hat mit „4'33“ ein „stilles“ Musikstück geschrieben und damit gezeigt, dass es eigentlich gar keine Stille gibt, sondern dass sich darin ganz viele Geräusche verstecken können. Etwa auf den Rängen des Prinz Regent Theaters: das Publikum muss vier Minuten und 33 Sekunden Stille ertragen. Hilfestellung gibt es dabei von einer an die Rückwand projizierten, rückwärts laufenden Uhr.

In anderen Kompositionen hat John Cage die Saiten des Klaviers mit Schrauben und Radiergummis bestückt, um neue Klänge zu erzeugen, er hat mit Alltagsgegenständen musiziert, ohne dabei den Humor zu verlieren. Vieles hat er dem Zufall überlassen. Damit hat er dem kreativen Geist des Menschen eine Bühne bereitet, die wie geschaffen ist für ein Kind, Kunst und Alltag immer wieder neu zu entdecken und spielerisch zu gestalten. John Cage: „Wo wir auch sind, wir hören meistens Lärm. Ignorieren wir ihn, stört er uns. Lauschen wir ihm, finden wir ihn faszinierend.“

Die Junge Bühne Bochum konnte Thorsten Bihegue, Dramaturg bei Kay Voges am Schauspiel Dortmund, für die knapp einstündige Inszenierung gewinnen, der ganz auf die Stärken der verschiedenen Hintergründe des Ensembles von Schauspiel über Theatermusik bis hin zum Physical Theatre gesetzt hat. Die Proben zu diesem außergewöhnlichen Stück von und mit seltsamen Klängen und vertrauten Geräuschen, schiefen Tönen und versteckten Abenteuern, bei dem es ein bisschen auch ums Älterwerden geht, fanden weitgehend beim koproduzierenden Theater Kohlenpott in den Herner Flottmannhallen statt.

Die Junge Bühne Bochum, kurz JuBB, wurde im Sommer 2018 von der zur Zeit am Staatstheater Kassel tätigen Regisseurin Martina van Boxen gegründet und besteht aus einer Gruppe von Künstlern, die über viele Jahre Schauspiel-, Tanz- und Musiktheaterproduktionen für ein junges Publikum am Schauspielhaus Bochum entwickelt haben. Produktionen wie etwa „Lindbergh“ oder „Fred & Anabel“ sind inhaltlich und ästhetisch stets anspruchsvoll, interdisziplinär, sinnlich, direkt und nah dran am Leben, regen zum Schmunzeln und Nachdenken an und machen beim jungen Publikum Lust auf mehr Theater.

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„Silence oder: Wie ich aus dem Fenster klang“ feierte am 30. November 2019 umjubelte Uraufführungs-Premiere im Bochumer Prinz Regent Theater. Nach einer ersten Aufführungsserie war dort Anfang April 2020 eine zweite geplant, die der Corona-Pandemie zum Opfer gefallen ist. Nun hoffen alle Beteiligten darauf, dass das 36. Theatertreffen NRW für junges Publikum Anfang Mai beim Westfälischen Landestheater Castrop-Rauxel stattfinden kann. Denn die Auswahljury hat „Silence“ für den Wettbewerb nominiert, der mit zwei Aufführungen am Montag, 4. Mai 2020, im WLT-Studio am Europaplatz startet. Näheres unter westwind-festival.de, Kartenreservierungen unter Tel. 02305 – 97 80 20.

| Quelle: Pitt Herrmann