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Schwanda, der Dudelsackpfeifer: Piotr Prochera, Uwe Stickert und Ilia Papandreou.

Eine Entdeckung am MIR

Schwanda, der Dudelsackpfeifer

Gelsenkirchen. Weinberger, wer? 1896 in Prag in einfachen Verhältnissen geboren, genoss Jaromir Weinberger dank der Unterstützung seiner jüdisch-tschechischen Familie eine exzellente musikalische Ausbildung am Prager Konservatorium und bei Max Reger in Leipzig. Seine neun Jahre nach Gründung der Tschecheslowakischen Republik 1927 in Prag uraufgeführte volkstümliche Nationaloper Schwanda, der Dudelsackpfeifer machte ihn über Nacht berühmt, bis 1933 wurde sie in Europa und Amerika tausendfach aufgeführt. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten verschwand freilich nicht nur seine ebenso komische wie berührende Liebeserklärung an seine Heimat, deren musikalische Wurzeln in Volksliedern und Tänzen Böhmens liegen, aber auch an Smetanas Die verkaufte Braut erinnert und Bezüge zu Spätromantikern wie Franz Schreker und Richard Strauss aufweist.

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Sondern auch mit Frühlingsstürme die letzte Operette der Weimarer Republik, am 20. Januar 1933 im Berliner Admiralspalast mit Richard Tauber uraufgeführt. Da zogen bereits die Fackelzüge der Nationalsozialisten durchs nahe Brandenburger Tor, zehn Tage später kam das „Aus“. Jaromir Weinberger floh in die Vereinigten Staaten, wo er an seine Erfolge nicht mehr anknüpfen konnte und sich 1967, vereinsamt und vergessen, im Alter von 71 Jahren das Leben nahm.

Schwanda, der Dudelsackpfeifer: Joachim G. Maaß, Tobias Glagau und Jiyuan Qiu.

Bevor die Komische Oper Berlin dem Vergessenen im März 2020 ein mehrtägiges Festival mit Konzerten, Inszenierungen und einem wissenschaftlichen Symposium widmet, setzt das Gelsenkirchener Musiktheater im Revier ein mutiges Zeichen, indem es das bisher völlig unbekannte eklektizistisch-spätromantische Werk um einen Dudelsackpfeifer namens Schwanda erstmals in Gelsenkirchen präsentiert - in der deutschen Fassung von Max Brod, erstaufgeführt 1928 in Breslau. Mit durchschlagendem Erfolg: der Applaus nach der knapp dreistündigen Premiere am 15. Juni 2019 wollte schier kein Ende nehmen.

In der anmutigen, blumenübersäten, vor dunklem Hintergrund regelrecht leuchtenden Landschaft des niederländischen Bühnenbildners und Regisseurs Michiel Dijkema (Die Zauberflöte, Nahod Simon, Hoffmanns Erzählungen) und seines Lichtdesigners Thomas Ratzinger staken zwei Landsknechte in klirrenden Ritterrüstungen umher. Sie sind auf der Suche nach dem Räuber Babinsky (einfallsreicher Hallodri: der lyrische Tenor Uwe Stickert), der sich auf der Flucht vor dem Gesetz ausgerechnet im Haus des Schwanda (sängerisch wie darstellerisch herausragend: der Bariton Piotr Prochera) versteckt. „So jung und schon vergeben“: Sogleich bandelt er mit dessen hinreißend fröhlicher, ihm gegenüber völlig zu Recht misstrauischer Frau Dorota (die griechische Sopranistin Ilia Papandreou, Marta in Die Passagierin, Leonie in Reformhaus Lutter) an.

Um ihr Herz gewinnen zu können, lockt er ihren in warmes Orange gehüllten Gatten zur Eiskönigin (kaltes Blau, auftrumpfende Macht: die Sopranistin Petra Schmidt), um diese durch sein herzerwärmendes Dudelsackspiel vom Einfluss des Magiers (diabolische Fantasyfigur: der lyrische Tenor Michael Heine) zu befreien – mit dem Ziel, dass Schwanda die Königin heiratet und er bei Dorota freie Bahn hat. Zum Glück geht der Plan nicht auf, zuvor aber muss der musikalische Bauernheld noch durch das Fegefeuer, in dem sich der Teufel (Paradepartie für den Erzkomödianten Joachim G. Maaß) zu Tode langweilt.

Am Ende der turbulenten und so auch inszenierten Abenteuerreise steht fest: Mit der Kraft der Musik kann man der Gewalt trotzen. Obwohl dank der überbordenden Spielfreude gerade auch des Chores und der phantastischen Ausstattung (folkloristische Kostüme: Jula Reindell) die Hölle im dritten Akt als der attraktivere Himmel erscheint, ist es daheim dann doch am schönsten. Und damits auch jeder kapiert, kommt der Chor zum Finale im vierten Akt in heutigen Alltagsklamotten auf die Bühne vor dem Hintergrund auf die Rückwand projizierter Gelsenkirchener Stadtansichten. Hätte nicht sein müssen, tut dem großen Erfolg aber keinen Abbruch. Zu dem ganz wesentlich der musikalische Leiter Giulano Betta beiträgt, der alle Facetten der vielfältigen Komposition in satten Farben zum Leuchten bringt.

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Karten für die weiteren Vorstellungen am 22. und 27. Juni sowie am 5. Juli jeweils um 19:30 Uhr und am 7. Juli 2019 um 18 Uhr unter mir.ruhr/schwanda oder Tel 0209 – 40 97 200. Schwanda, der Dudelsackpfeifer wird in der kommenden Saison 2019/20 wiederaufgenommen für insgesamt vier Vorstellungen am 31. August 2019 um 19:30 Uhr, am 15. September um 15 Uhr sowie am 22. und 29. September 2019 jeweils um 18 Uhr.

| Quelle: Pitt Herrmann