halloherne.de

lokal, aktuell, online.
Familienaufstellung: v.l. Lukas von der Lühe, Anne Rietmeijer, Svetlana Belesova, Dominik Dos-Reis, Ann Göbel, Michael Lippold.

Kulinarisches Theater in der Bochumer Zeche 1

'Samstag, Sonntag, Montag'

Italianità auf Prinz Regent. Die gut fünfzig Zuschauer, die sich am Premierenabend des 15. Februar 2020 in der gekachelten Kaue der ehemaligen Zeche im Bochumer Süden zum kulinarischen Theater-Erlebnis „Samstag, Sonntag, Montag“ einfinden, werden mit neapolitanischen Volksliedern eingestimmt wie der auch bei uns populären Hymne „Funiculì, Funiculà“ auf die Eröffnung der Standseilbahn auf den Vesuv im Jahre 1880. Das passt, denn das am 6. November 1959 im römischen Teatro Quirino uraufgeführte und erst am 25. März 1975 an der damals noch existierenden Freien Volksbühne Berlin erstmals auf Deutsch aufgeführte Stück des Autors, Darstellers und Regisseurs Luigi Pirandello (1900 Neapel – 1983 Rom) ist ein ganz traditionelles neapolitanisches Volksstück. Dass die Herzen öffnet für die kleineren und größeren Schwächen der Bewohner dieser wunderschönen Stadt, welche die meisten nur als Durchgangsstation auf dem Weg nach Ischia kennen.

Anzeige: Glasfaser in Crange

Schwächen, die naturgemäß beim sonntäglichen Mittagessen in der Großfamilie offen zu Tage treten. Siebzehn Rollen sieht das Stück vor – für sechs Damen und elf Herren. Das schafft nur der Film: die große italienische Regisseurin Lina Wertmüller hat „Sabato, domenica e lunedi“ 1990 mit Sophia Loren als „Mamma“ Rosa auf die Leinwand gebracht, das Bochumer Programmheft zeigt sie mit melancholischem Gesichtsausdruck, gewaltig dimensioniertes Holzbesteck wie verstärkte Ohrmuscheln in den Händen haltend. Liebe geht durch den Magen? „Ich mach’s eigentlich fast nur noch für die Kinder, und außerdem wäre ein Sonntag ohne Ragú für mich kein richtiger Sonntag“ gesteht Rosa Priore (Svetlana Belesova) offen ein. „Aber meinem Mann könnte ich sogar zu Ostern aufgewärmte Pasta vorsetzen.“

Michael Lippold und Svetlana Belesova (v. l.) spielen mitten im Publikum:

Damit ist Don Peppino Priore (Michael Lippold) gemeint, mit dem sie seit Jahrzehnten verheiratet ist. Und drei mittlerweile erwachsene Kinder hat, von denen immerhin zwei inmitten des animierten – und nach dem vorzüglichen Antipasti-Teller bereits beinahe nahezu gesättigten - Publikums agieren: Giulianella (Anne Rietmeijer), die davon träumt, als Fernsehstar groß herauszukommen, und Rocco (Dominik Dos-Reis), der sich strikt weigert, das väterliche Geschäft für Herrenbekleidung und Hüte zu übernehmen. In der Absicht, einen eigenen, moderneren Laden zu eröffnen, gestärkt durch seinen Großvater, Don Antonio Piscopo (Lukas von der Lühe). Der einstige „König des Strohhuts“ am Golf von Neapel hat Rocco schließlich auf eigene Kosten zum Studium in die große weite Welt geschickt: „Paris, London, Wanne-Eickel“.

Mit am Familientisch nehmen Peppinos Schwester Zia Meme (ebenfalls Lukas von der Lühe) und ihre Tochter Attila (Ann Göbel) Platz, aber auch Gäste wie Roccos Freund Federico (ebenfalls Ann Göbel) und das Nachbar-Ehepaar Ianiello mit Elena (ebenfalls Anne Rietmeijer, aber auch Michael Lippold) und Gatte Luigi (ebenfalls Dominik Dos-Reis). Letzterer bringt Mamma Rosa einen Panettone mit (Cassata wäre zu schwierig gewesen) – zum Ärger des eifersüchtigen Gastgebers, der schon lange eine gewisse Lieblosigkeit beklagt: Sie legt ihm morgens kein frisches Hemden mehr heraus und wenn er nach Geschäftsschluss einmal in der Küche aufkreuzt, fliegen schnell die Fetzen…

Die turbulente Komödie „Samstag, Sonntag, Montag“ ist, wenn man sie ernst nimmt und realistisch inszeniert wie David Mouchtar-Samorai zuletzt Ende Januar 1995 im Düsseldorfer Schauspielhaus mit dem Defa-Star Winfried Glatzeder („Die Legende von Paul und Paula“) an der Seite von Caroline Ebner und Susanne Meierhofer, ein bei aller satirischer Zuspitzung liebevolles Porträt der alltäglichen Sorgen und Nöte der kleinen Leute Neapels, das trotz der konkreten Verortung universelle Geltung beanspruchen kann. Bochums Schauspielhaus-Intendant Johan Simons ist einen anderen Weg gegangen: Er hat die Nebenspielstätte Zeche Eins in ein Pop-up-Restaurant verwandelt. Nadja Sofie Ellers Bühne beschränkt sich auf eine hufeisenförmige Tischanordnung mit Platz in der Mitte für das bestens aufgelegte sechsköpfige Ensemble, dem Sofia Dorazio Brockhausen und Britta Brodda zumeist pastellfarbene Nostalgie-Kostüme verpasst haben, welche an die 1950er Jahre erinnern. In rastellihafter Geschwindigkeit, befördert durch den Klasse-Soundtrack von Mina und Alberto Lupos „Parole, parole“ über Adriano Celentanos „Yuppi-du“ bis hin zu Bob Merrills „Mambo Italiano“, decken Mamma Rosa & Co den Tisch und räumen das Geschirr wieder ab. Denn die Bochumer Pasta-Manufaktur Di Vita liefert zur Aufführung ein dreigängiges vegetarisches Menü, noch zu loben die Spinat-Ricotta-Canneloni als Hauptgericht und die Nachspeise, Panna Cotta mit Himbeersauce.

Anzeige: Spielwahnsinn 2024

Gespielt wird auch am großen Familientisch inmitten des Publikums, das sozusagen die dem Rotstift zum Opfer gefallenen sieben Rollen von Addolorata bis Roberto ersetzt. Ein Event-Theater, das alle Sinne eines begeisterten Publikums reizt, dem es völlig schnuppe ist, wer gerade wen verkörpert beim munteren Wechselspiel der Rollen und Geschlechter: Hier wird nicht nur Theater gespielt, sondern das Theaterspiel geradezu ausgestellt. „Mein Gott, so haben wir das doch nicht geprobt“ seufzt der auf Alt geschminkte Michael Lippold nicht das erste Mal aus der Rolle fallend. Der Prozess des Making off ist fester Bestandteil des für viele Bochumer noch gewöhnungsbedürftigen anarchischen Humors des niederländischen Intendanten. Überbordende Spielfreude und handgefertigte Pasta - Buon appetito! Erwartungsgemäß sind bis einschließlich Anfang April 2020 alle Vorstellungen ausverkauft, weitere Termine in Kürze unter schauspielhausbochum.de.

| Autor: Pitt Herrmann