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Uwe (Dieter Hallervorden) baut mit Abdullelah (David A. Hamade) ein Buddelschiff.

Free-TV-Premiere

Ostfriesisch für Anfänger

Mit dem 1935 im anhaltinischen Dessau geborenen Dieter Didi Hallervorden, Berliner seit seinem 22. Lebensjahr, einen authentischen ostfriesischen Film machen zu wollen, wäre auch der schrägste Witz der jüngeren deutschen Komödiengeschichte gewesen. Einmal ganz davon abgesehen, dass bis auf ein paar Drohnen-Aufnahmen aus der Vogelperspektive und einigen schönen Sonnenuntergängen über dem Wattenmeer, die wir vermeintlich schon aus der Jever-Bierwerbung her kennen, was Kameramann Dino von Wintersdorff naturgemäß vehement von sich weisen würde, an mehreren niedersächsischen Orten und vor allem im Hamburger Umland gedreht worden ist, nicht aber in Ostfriesland.

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Weshalb der 80-Jährige mit einem Dialekt-Coach in Klausur gehen musste, um sich das Sprachbild seiner Rolle zu erarbeiten. Offenbar mühsam, denn ohne dem Leinwand-Jungstar (Sein letztes Rennen, Honig im Kopf) nahe treten zu wollen: Didi hat sein Bestes gegeben, das freilich im Vergleich zu den Plattdütsch schnackenden Stammgästen in Fietes (Wilfried Dziallas) Kneipe des fiktiven Ortes Niederhörn deutlich abfällt. Andererseits: in den neuen deutschen TV-Krimiserien wird überall Deutsch gesprochen, ob die nun in Istanbul, Bozen oder Venedig spielen. Womit wir das Niveau des nach Dusky Paradise (2015) erst zweiten Spielfilms des 1992 in Hamburg zur Welt gekommenen Regisseurs Gregory Kirchhoff treffend umrissen haben. Allerdings ist Ostfriesisch für Anfänger ursprünglich als reine TV-Produktion für den NDR gedacht gewesen. Und der strahlt den Film am Donnerstag, 15. November 2018, um 22.50 Uhr als Free-TV-Premiere aus (auch in der Mediathek).

Uwe Hinrichs (Dieter Hallervorden) schlägt sich mehr schlecht als recht durch den Vor-Ruhestand. Der gelernte Schiffsbauer hat mit der Werftenkrise nicht nur seine Arbeit, sondern mit Elfriede auch seine über alles geliebte Gattin verloren. Und danach so viel Schulden aufgehäuft, dass sein Haus zwangsversteigert worden ist und nun der Gemeinde gehört.

„Hier hört die Welt auf, hier kommt nichts mehr“: Vroni Lautenschläger (Victoria von Trauttmansdorff) blickt entgeistert aus dem Fenster des Transporters, der von ihrem jüngeren Kollegen Bernd Meyer-Fröhlich (Philippe Graber) gesteuert wird, bis dieser laut Navi an der eingetippten Adresse Friesenweg 6 angekommen ist. Samt Nutzlast von fünf Ausländern, die hier auf Kosten des Steuerzahlers einen zweimonatigen Integrationskurs absolvieren sollen. Und aus dem Staunen gar nicht mehr herauskommen: die dringend renovierungsbedürftige Bruchbude ist bis auf wenige Einzelstücke museumsreifen Mobiliars leergeräumt. Nur die Dusche ist noch in Funktion – Uwe steht gerade drunter, ist ja schließlich sein Haus und das seiner Vorfahren.

Bürgermeister Dietmar Holthagen (Holger Stockhaus) hat sich nach der Pleite seiner Baufirma bei der Bundesregierung für die Ausrichtung des Integrationskurses beworben. Mit 20.000 Euro Staatsknete lässt sich schon einiges überbrücken, wenn auch vom Hochglanzprospekt-Objekt Zentrum für ausländische Fachkräfte noch nicht 'mal ein Bauschild existiert. Solange Uwe die Ausländer unterrichtet, darf er wieder zuhause wohnen.

Der lässt von seiner neuen Wohngemeinschaft aus dem Libanesen Abdullelah (David A. Hamade), der Russin Svetlana (die Schloss Einstein-Chemielehrerin Janina Elkin stammt aus Kiew/Ukraine), dem afrikanischen Musikfreak Feelgood (der in Sierra Leone geborene Flüchtling Michael Davies), der Vietnamesin Liantang (Trang le Hong, in Hanoi geboren, debütierte in Wir sind jung. Wir sind stark) und dem Südamerikaner Carlos (Nicolas Buitrago, im kolumbianischen Bogota geboren, war gerade erst in Vor der Morgenröte zu sehen) erst einmal seine Hütte auf Vordermann bringen, bevor er sie im Stall mit der Sprache und den Gepflogenheiten (Teezeremonie mit Kluntjes und Sahnewölkchen) vertraut macht. Sein Musterschüler ist mit dem stets gut gelaunten Schiffbau-Ingenieur Abdullelah ausgerechnet der einzige Moslem, der sich nicht nur als geschickter Krabbenpuler entpuppt, sondern auch als kreativer Buddelschiffbauer.

Als sein Viermaster Elfriede einen Wettbewerb gewinnt, kommt sogar die Ostfriesen-Zeitung vorbei. Und das in eine Massenschlägerei ausgeartete Integrationsfest der Pastorin (Brigitte Janner) im Dorfgemeinschaftshaus ist ebenso längst vergessen wie die Pleite bei der Abschlussprüfung: „Die Utländer schnakt all Platt! Die können gar nix anderes!“ konstatiert die Prüferin (Anna Böttcher) und lässt alle durchrasseln. Doch Uwe Hinrichs weiß Rat – ausgerechnet im Gesetzestext der Europäischen Charta...

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Gregory Kirchhoffs Neunzigminüter hat, bezüglich der deutschen Leitkultur, die den Flüchtlingen nahe gebracht werden soll, ironische Momente und trotz des ernsten Hintergrundes der Verödung ganzer Landstriche und des drohenden Aussterbens unserer regionalen Sprachenvielfalt viele spaßige Szenen, für die erwartungsgemäß in erster Linie Didi zuständig ist. Ostfriesisch für Anfänger kommt aber über das gewohnte NDR-Niveau solcher Vorabendserien wie Neues aus Büttenwarder oder Großstadtrevier nicht hinaus, erspart uns aber klamottige Peinlichkeiten, wie sie ansonsten inzwischen leider Leinwand- und Bildschirm-Standard sind.

| Autor: Pitt Herrmann