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Nanouk (Mikhail Aprosimov) lebt mit seiner Frau Sedna in der einsamen Weite Jakutiens.

Neu im Kino: Nanouk

Jakutien beherbergt die Eiswüsten des sibirischen Nordens: ein unwirklicher, im Grunde genommen lebensfeindlicher Ort. Und gleichzeitig, das zeigt die häufig mit großer Distanz eingesetzte, zumeist statische Kamera Kaloyan Bozhilovs auf der großen Kinoleinwand, atemberaubend schön. Hier leben wie ihre indigenen Vorfahren Sedna (die Laiendarstellerin Feodosia Ivanova gleich zu Beginn als virtuose Maultrommel-Spielerin) und Nanouk (der Moskauer Theaterschauspieler Mikhail Aprosimov), ein in die Jahre gekommenes Ehepaar. Von ihrer einst stattlichen Rentierherde ist ihnen nur noch die Erinnerung geblieben. Ihre Jurte besteht aus Rentier- und Polarfuchsfellen: Sie versorgen sich mit Jagen, Fallenstellen und Fischen, in der Wildnis nur begleitet von ihrem Hund. Es ist ein schweigsamer und rauer Alltag, den beide ohne viele Worte verbringen. Aber kein freudloser, obwohl besonders Sedna traurig darüber ist, dass ihre Tochter ein zumindest auf den ersten Blick leichteres Leben in der Stadt dem Nomadendasein vorgezogen hat. Zumal das Überleben hier draußen schwieriger wird, denn die wenigen Tiere um sie herum verenden an einer mysteriösen Krankheit.

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Zudem bedrohen die immer früher einsetzende Schneeschmelze und Stürme die schützende Behausung. Als ein solcher einsetzt, sucht selbst der Hund Schutz unter den Fellen. Ein Besuch unterbricht ihre Routine. Chena (Sergey Egorov), ein junger Mann, der mit dem Motorschlitten in die Eiswüste gekommen ist und einige dringend benötigte Sachen mitbringt, darunter Batterien für das kleine Transistorradio, bildet die einzige Verbindung zur Zivilisation - und zu Tochter Ága, die einmal seine Freundin gewesen ist. Vor langer Zeit hat sie das traditionelle Leben aufgegeben und die Eltern verlassen. Die ihre Tochter, welche in einer Diamantenmine arbeitet, noch einmal wiedersehen wollen. Doch als Nanouk eines Abends von der Jagd zurückkehrt, kreisen Raben über der Jurte. Die Todesvögel verkünden ihm, dass seine Gattin, die schon seit geraumer Zeit an einer offenen Bauchwunde leidet, ihren Leiden erlegen ist. Nachdem er ihr mühsam ein Grab aus Felssteinen errichtet hat, macht sich Nanouk auf den Weg – von der Wildnis in die Stadt und zu Ága (die in Jakutsk geborene Film- und Theaterschauspielerin Galina Tikhonova). Der redseliger Fahrer (Afanasiy Kylaev) eines Holztransporters nimmt den schweigsamen Alten mit und weist ihm die letzten Kilometer zur Mine, die er zu Fuß zurücklegen muss.

Sedna (Feodosia Ivanova) denkt oft an ihre Tochter Ága. Musik ist ihr ein kleiner Trost.

In der apokalyptischen Weite des gewaltigen Tagebaus kommt es zu einer leider mit wohl unvermeidlicher Musiksauce unterlegten Gefühlseruption des Wiedererkennens von Vater und Tochter... Nanouk ist bis auf das hochemotionale Finale ein zutiefst poetischer, intimer Film. Er erzählt 96 Minuten lang in großen Bildern, die nur auf der Kinoleinwand ihre volle Wirkung offenbaren, von einer unbeherrschten Natur, in der der Mensch oft klein erscheint, und doch geborgen ist in der ihn umgebenden Landschaft. Dem 1967 in Bulgarien geborenen Regisseur Milko Lazarov, der für sein Debüt „Alienation“ 2013 in Venedig ausgezeichnet wurde, gelingt es, mit distanzschaffenden Mitteln des Dokumentarfilms die Geschichte einer großen, tragischen Liebe zu erzählen, die an einem so entrückt-weltfremden wie wunderschönen Ort spielt. Sie weist archaische Züge auf und ist dennoch eine Geschichte, die aktueller und globaler nicht sein könnte. Milko Lazarov: „Die ökologische Frage ist in unserem Film präsent, aber auf eine sehr behutsame Art und Weise. Sie ist ein Teil des Lebens der Figuren, aber unser Hauptziel war es, die Beziehungen untereinander zu beobachten.“

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Der Film, zu dem Simeon Ventsislavov das Drehbuch verfasst hat, ist am Donnerstag (18.10.2018) in Deutschland gestartet. Nanouk wird in unserer Region leider nur in zwei Kinos gezeigt: in der Dortmunder Schauburg, Brückstraße 66 in der City, sowie im ältesten Programmkino des Ruhrgebiets, in der Galerie Cinema an der Julienstraße 73 in Essen-Rüttenscheid.

| Autor: Pitt Herrmann