
Filmästhetisches Experiment
Neu im Kino: LOLA
1941 in London. Die beiden visionären Schwestern Thomasina „Thom“ (Emma Appleton) und die jüngere Martha „Mars“ Hanbury (Stefanie Martini) haben die Maschine LOLA konstruiert, die Radio und Fernseh-Schnipsel aus der Zukunft empfangen kann. Sie hören Kultmusik etwa von David Bowie und Bob Dylan, bevor sie geschrieben wird, platzieren todsichere Sportwetten und leben ihren inneren Punk aus, bevor die Bewegung dazu überhaupt erfunden wird.
Militärische Informationen aus der Zukunft
Als der Zweite Weltkrieg eskaliert, beschließen die Schwestern, ihre Erfindung für einen guten Zweck zu nutzen. Die bald „Engel von Portobello“ genannten jungen und für ihre Zeit sehr selbstbewussten Frauen fangen militärische Informationen aus der Zukunft ab und können – mit einem Gasometer als Transmitter - so die Bevölkerung nicht nur vor bevorstehenden Bombardements und Raketenangriffen der Deutschen warnen, sondern auch Gegenmaßnahmen der Royal Air Force befördern. Wofür allerdings der britische Geheimdienstchef Major Henry Cobcroft (Aaron Monaghan) die Meriten einstreicht.
Als Leutnant Sebastian Holloway (Rory Fleck Byrne) vom britischen Geheimdienst zum Schutz aber auch zur Überwachung der Schwestern in deren Haus einquartiert wird, entwickelt sich eine Affäre zwischen ihm und Mars. Während Thom sich zunehmend von der Macht des keineswegs unfehlbaren Apparates verführen lässt und nicht erkennt, dass LOLA nicht nur Wahrheiten vorhersagt. So können die Deutschen in Umkehrung des historischen D-Day von der Küste der Normandie aus auf der britischen Insel landen und Adolf Hitler hält in London vor begeisterten Anhängern Oswald Mosleys, dem Gründer der Partei „British Union of Fascists“, eine Parade ab.

Mosley herrscht bald wie sein französisches Pendant Marschall Philippe Pétain über das von der Wehrmacht besetzte Gebiet. Die Briten, die gerade noch die Schwestern als mit den Feinden kollaborierende „Nazi-Huren“ beschimpft und verhaftet haben, arbeiten mit Fake News wie der angeblichen öffentlichen Hinrichtung Martha Hanburys. Diese scheitert in Wirklichkeit mit einen Attentatsversuch auf Hitler, der aber letztlich die Wende im Zweiten Weltkrieg zugunsten der Alliierten einleitet…
Filmemacher Andrew Legge im Presseheft: „Ich glaube, dass die 1940er Jahre eine Art kultureller Wendepunkt waren. Es war eine Ära, bevor Popmusik und Popkultur wirklich die Oberhand gewannen, also war es der richtige Zeitpunkt, um unsere Protagonisten zu platzieren. Und 1941 stand sehr viel auf dem Spiel. Hitler hatte immer noch gute Chancen, den Krieg zu gewinnen.“
Zeitmaschine LOLA
Wer historisch auch nur interessiert ist, wird Andrew Legges spekulativ-selbstironisches Spiel mit Zeit und Wahrheit als reichlich kruden Spaß empfinden in einer Zeit, in der autoritäre Regime selbst in Europa Oberwasser zu bekommen scheinen. „LOLA“ ist freilich bereits am 5. August 2022 beim Filmfestival Locarno uraufgeführt worden und kommt bei uns erst über ein Jahr später in die Kinos. Das achtzigminütige Spielfilmdebüt des irischen Regisseurs ist vor allem als filmästhetisches Experiment von Interesse. Die Grundidee der Zeitmaschine in „LOLA“ stammt aus seinem Kurzfilm „The Chronoscope“ von 2009, einer Dokumentation über die irische Wissenschaftlerin Charlotte Keppel, die in den 1930er Jahren eine Maschine erfand, die in die Vergangenheit sehen konnte.
Für seinen in den 1940er Jahren spielenden Film wählte der Regisseur eine Schwarz-Weiß-Optik, die sich an Filmaufnahmen aus der Zeit orientierte. Der nostalgische Found-Footage-Retrolook wurde teilweise auch mit historischem Equipment wie einer Bolex-Kamera oder Objektiven aus den 1930er Jahren gedreht. Andrew Legge im Presseheft: „An den Wochenenden drehte ich kleine Szenen mit der Bolex, kam mit dem Filmmaterial zurück, entwickelte es bei mir zu Hause in der Badewanne und hängte es über das Treppengeländer, und dann ließen wir es scannen.“
Die Sounds sind angeblich vom selbstgebauten Synthesizer der Schwestern kreiert worden. Inspirationsquelle dafür war ein deutsches elektronisches Instrument aus dem Jahr 1929 namens Trautonium, das nach seinem Erfinder Friedrich Trautwein (1888–1956) benannt und erstmals auf der Tagung „Neue Musik Berlin 1930“ öffentlich vorgeführt wurde.
„LOLA“ war zum bundesweiten Europäischen Kinotag am 12. November 2023 erstmals in Deutschland gezeigt worden. Zum Kinostart am 28. Dezember 2023 zu sehen im Casablanca Bochum, in der Galerie Cinema Essen und im Bambi Düsseldorf.