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v.l Kai Schewe, Hanno Kofler, Lilith Stangenberg, Jördis Triebel, Florian Stetter.

Revier-Premiere am 15. September in Dortmund

Neu im Kino: Idioten der Familie

Heli (Jördis Triebel) will mit 40 ein neues Leben beginnen – endlich. Ein eigenes, selbstbestimmtes vor allem. Denn die Künstlerin hat sich die letzten Jahre vor allem um ihre kleine Schwester Ginnie (von verträumt bis unzugänglich: eine herausragende, weil letzte Geheimnisse wahrende Lilith Stangenberg) gekümmert, die geistig behindert ist. Jetzt soll die 26-Jährige in ein Heim kommen, was ihre drei egozentrischen Brüder Tommie (Hanno Kofler), Bruno (Florian Stetter) und Frederik (Kai Scheve) vernünftig finden. Sie waren Heli zwar nie eine Hilfe, kommen jetzt aber noch einmal zu Besuch, um im idyllischen Elternhaus am Rande Berlins noch einmal Zeit mit beiden Schwestern zu verbringen, bevor Ginnie ins Heim gebracht wird.

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Deren geistige Behinderung ist ihr nicht anzusehen, und auf den ersten Blick schon gar nicht: Ginnie gießt Blumen in sorgsam gepflegten Hochbeeten im ansonsten arg verwilderten Garten, als der Besuch eintrifft. Dem sie sich zunächst im Unterholz versteckt entzieht, zumal sie gerade keine Lust auf Spaghetti hat, die Heli auftischt. Der stets mit einem lustigen Strohhut herumlaufende Jazz-Saxophonist und nicht wirklich erfolgreiche Bandmusiker Tommie, mit 30 Jahren der jüngste, lustigste und am meisten chaotische Bruder, steht Ginnie offenbar nicht nur altersmäßig am nächsten und holt sie an den Küchentisch.

Hausmusik stand auf der Tagesordnung, als die Eltern noch lebten. Die Geschwister sind scheinbar in einer intakten bürgerlichen, sich zum Christentum bekennenden Familie groß geworden. Sie haben viele Freiheiten genossen – und nehmen sie sich immer noch heraus. So auch der 32-jährige klugscheißende Gutmensch Bruno, der vor drei Jahren das Inselglück auf La Gomera einem lukrativen Job vorzog und der demnächst als Entwicklungshelfer nach Afrika gehen will, um in Mali Lehrer auszubilden. Nur der 42-jährige Klarinettist und Pianist Frederik ist, dem Vater nacheifernd, als klassischer Konzertmusiker geerdet, er kann dem notorisch finanziell klammen Tommie eventuell einen Job an der Komischen Oper in der Neuproduktion des Bernstein-Musicals „West Side Story“ besorgen.

Das Bruder-Trio erlebt das nur „Engelchen“ genannte Nesthäkchen der Familie als unberechenbares „Biest“ - und kommt sich in dem Durcheinander aus Kindheitserinnerungen und neu erlebter Gegenwart näher als erwartet. Was auch damit zu tun hat, dass nun Wahrheiten zu Tage gefördert werden, die stark am Bild der heilen Bürgerlichkeit kratzen. So wollte die Mutter Bruno ursprünglich abtreiben und sah Ginnies Behinderung als Strafe Gottes für ihre Untreue an. Und das Inselglück auf Gomera entpuppt sich als Aufenthalt in der Psychiatrie. Schließlich: Was wird aus dem Elternhaus, wenn Ginnie ins Heim kommt? Heli hat die letzten acht Jahre auf Sparflamme gelebt, will hier 'raus. Die Malerin träumt von sexuellen Abenteuern, die sich die nymphomanische Ginnie ganz selbstverständlich gönnt – und sei es im ungemütlichen Pferdeanhänger.

Tommie bietet sich an, ins Elternhaus zu ziehen und sich um Ginnie zu kümmern, was Heli für keine gute Idee hält, weil sie ihm nicht genug Stressresistenz zutraut. Schließlich wird noch ein letztes Gruppenfoto geschossen, bevor Ginnie ins Heim abgeholt wird...

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„Idioten der Familie“, uraufgeführt am 1. Juli 2018 auf dem Filmfest München, ist ein Film innerhalb der ambitionierten Reihe „Leuchtstoff“ von RBB und Medienboard Berlin-Brandenburg. Das binnen 102 Minuten trotz toller Besetzung auch nervige Befindlichkeits-Kammerspiel um die „Opferung“ der behinderten Ginnie durch ihre vier Geschwister spannt einen Bogen, der über das Familiendrama hinausweist. Der 76-jährige Regisseur Michael Klier, der einst mit „Ostkreuz“, „Heidi M.“, „Überall ist es besser, wo wir nicht sind“ und „Farland“ bekannt wurde und vor zehn Jahren zuletzt „Alter und Schönheit“ drehte, hat sich nun einem autobiographischen Stoff gewidmet. In einer vielköpfigen Familie aufgewachsen lebt eine geistig behinderte Schwester seit zehn Jahren im Heim. Kliers Blick geht aber darüber hinaus: „Erzählerisch ging es mir aber nicht nur um ein großes moralisches Dilemma, sondern um den destruktiven Egoismus und die lähmende Bequemlichkeit moderner westlicher Menschen.“

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  • Sonntag, 15. September 2019, um 21 Uhr
| Autor: Pitt Herrmann