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Mina Farid und Zahia.

Originalfassung nur am 16. September 2019 in Bochum

Neu im Kino: Ein leichtes Mädchen

Eine einsame Bucht, ein herrlicher Sandstrand, klares Wasser – und eine makellos schöne Blondine, topless. Mit diesem geradezu klassischen Männertraum beginnt die französisch-beschwingte Sommergeschichte „Ein leichtes Mädchen“ der renommierten 39-jährigen Autorenfilmerin Rebecca Zlotowski („Das Geheimnis der zwei Schwestern“, „Grand Central“), die am 20. Mai 2019 beim Filmfestival in Cannes uraufgeführt und mit dem Prix Sacd ausgezeichnet wurde, am 1. Juli 2019 beim Filmfest München seine Deutschlandpremiere feierte und jetzt 2019 bundesweit in die Kinos gekommen ist.

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Naima (Newcomerin Mina Farid) hat gerade im großen Kreis Gleichaltriger, darunter auch ihr Freund Dodo (Lakdhar Dridi), ihren 16. Geburtstag und gleichzeitig ihren Schulabschluss gefeiert. Sie lebt mit ihrer alleinerziehenden Mutter, einer kleinen Angestellten eines Nobelhotels auf den Hügeln über Cannes, in bescheidenen Verhältnissen. In die kleine, laute Wohnung unmittelbar an der Eisenbahn-Hauptstrecke ist jetzt mit der 22-jährigen Sofia (Zahia Dehar) eine Cousine Naimas aus Paris, die gerade ihre Mutter verloren hat, gezogen – vorübergehend.

Beide junge Frauen müssen ihr Leben neu gestalten: Sofia sucht Halt bei ihrer Tante und Naima soll erst einmal ein paar Ferienwochen genießen, bevor sie sich für eine Berufsausbildung – oder ein Studium – entscheidet. Zwei Männer auf der Luxusyacht „Winning Streak“ mit der Harlekin-Flagge der Isle of Man, die an der Promenade von Cannes liegt, haben schon längst ein Auge auf die offenherzige Sofia geworfen. In einer Karaoke-Bar sprechen sie die attraktive und ganz offenbar zu einem Flirt bereite junge Frau an: Andres Montero (Nuno Lopes) ein nur „Sokrates“ genannter brasilianischer Multimillionär mit dem Bart der ikonischen Büste des griechischen Philosophen, angelt sich Sofia für eine heiße Nacht auf der Yacht, dessen rechte Hand, der Franzose Philippe (Benoit Magimel) kümmert sich väterlich um Naima, die auf dem Sofa eingeschlafen ist.

Obwohl diese, wie sich in den folgenden Tagen etwa bei einer Pool-Party in dem Hotel, in dem ihre Mutter arbeitet, zeigt, nicht so naiv ist wie es auf den ersten Blick scheint. Im Gegenteil: Dodos Eifersucht ist wohl begründet, denn Naima, die Sokrates und Sofia in der Nacht heimlich beobachtet hat, neugierig und nicht voyeuristisch, kann sich gut vorstellen, mit dem zurückhaltenden Philippe, der ihr Vater sein könnte, ihren ersten Sex zu haben. Sie lässt sich zwar nicht wie ihre Cousine vom schönen Schein der High Society blenden, nimmt aber auch gern teure Geschenke wie eine Chanel-Handtasche oder eine kostbare Uhr an. Und fährt mit auf eine Landpartie zur Kunstsammlerin Calypso (Clotilde Courau), einer in einer traumhaften Villa über dem Meer lebenden Freundin von Andres und Philippe, die Letzterem angesichts der beiden jungen Frauen vielseitig-aufmunternde Blicke zuwirft aber nichts weiter sagt. Doch Philippe will das „Kind“ gar nicht entjungfern.

Als Sokrates genug von Sofia hat und diese mit der falschen Beschuldigung, einen wertvollen Sextanten gestohlen zu haben, vom Schiff werfen lässt, ist auch Naima aus allen Träumen gerissen wieder zurück auf dem Boden der Realität. Während sich ihre Cousine gen London verabschiedet, kommen sich Naima und Dodo bei einem Joint am Strand wieder näher: Er hat das Casting, bei dem er vergeblich auf Naima wartete, überstanden und die erhoffte Rolle bekommen. Naima verabschiedet sich artig von Philippe: Es ist viel passiert – und doch wiederum nichts. Sie tritt in die Fußstapfen ihrer Mutter und beginnt eine Ausbildung im Hotel...

Nach rund neunzig Minuten fragt man(n) sich nicht mehr, warum diese, so der Pressetext, „schöne Sommergeschichte voller großer Gefühle – Sehnsucht, Leidenschaft, Eifersucht und Drama – und doch so flirrend wie ein Strandurlaub an der Cote d'Azur“ überhaupt erzählt worden ist, wohl aber, wie sie zur Auszeichnung in Cannes gekommen ist. Denn der einzige Beweggrund für „Ein leichtes Mädchen“ sind die dank kosmetischer Nachhilfe makellosen Kurven der einstigen Skandalnudel Zahia Dehar, der jungen Französin mit algerischen Wurzeln, die mit 17 Jahren im Mittelpunkt der Öffentlichkeit stand, als mehrere Spieler der französischen Fußballnationalmannschaft, darunter Franck Ribery und Karim Benzema, die Minderjährige als Escort gebucht hatten.

Kameramann Georges Lechaptois rückt die spätere Muse Karl Lagerfelds vorzugsweise unbekleidet ins rechte Licht, auch die Sexszenen sind nicht ohne. Eine „abenteuerliche Reise, bei der es ganz nebenbei ums Erwachsenwerden und echte Freundschaft geht“, wie uns der Verleiher Wild Bunch Germany weismachen will? Oder gar ein sozialkritischer Film vor dem Hintergrund der MeToo-Debatte, wie die Regisseurin Rebecca Zlotowski behauptet: „Ich wusste recht schnell, dass es um Macht gehen würde, um Stärke und Domination, und zwar in jeder Hinsicht: körperlich, sexuell, kulturell, finanziell. Die Affäre Weinstein hatte das vergangene Jahr geprägt und jeden von uns dazu gebracht, über das Thema nachzudenken, auf die eine oder andere Weise, und dazu zählte auch ich.“

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„Ein leichtes Mädchen“ thematisiert vordergründig die Ware Mensch im Kapitalismus, zitiert auch artig Marguerite Duras, bleibt letztlich aber eine üppig bebilderte Coming-of-Age-Geschichte im seinerzeit in den 1970er Jahren höchst angesagten, heute politisch voll unkorrekten Pretty-Baby-Stil Louis Malles. Weshalb ihn sich nur eine über alle Voyeurismus-Zweifel erhabene Regisseurin wie Rebecca Zlotowski leisten kann. In unserer Region zu sehen im Casablanca Bochum und im Filmstudio Glückauf Essen, im Casablanca auch in der Originalfassung am 16. September 2019.

| Autor: Pitt Herrmann