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Bekommt große Hunde wie diese Dogge in den Griff, nicht aber sein Leben: Hundefriseur Marcello.

Neu im Kino: „Dogman“ von Matteo Garrone

Sein Mafia-Thriller Gomorrah schlug vor Jahren ein wie eine Bombe, inzwischen ist eine ganze Serie aus dem auch politisch brisanten Plot geworden. Sein neuer Streifen, der seit Donnerstag (18.10.2018) in die Kinos läuft und im Bochumer Metropolis gezeigt wird, spielt ebenfalls vor den Toren Neapels, auch wieder im Drogen- und Prostitutionsmilieu, diesmal aber ohne Camorra-Beteiligung: Dogman erhielt heuer in Cannes die Palme in der Katgorie Bester Schauspieler. In der Tat darf Marcello Fonte als große Entdeckung gefeiert werden: Der 40-jährige Hausmeister einer italienischen Sozialeinrichtung zur Resozialisierung einstiger Häftlinge war als Schauspieler bisher nicht in Erscheinung getreten, nur gelegentlich als Komparse unter anderem von Martin Scorcese und Alice Rohrwacher eingesetzt. Nun spielt er den Inhaber des Hundefriseurgeschäftes Dogman, das in einer heruntergekommenen Siedlung unmittelbar an einem vermüllten Strandbad situiert ist (gedreht wurde im 1980 durch ein Erdbeben zerstörten und bis heute als Ruine vor sich hindämmernden Castel Volturno).

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In den ersten von gut hundert Minuten blafft ein Kampfhund in die Kamera Nicolai Brüels – und damit direkt ins Publikum. Der schmächtige Hunde-Figaro Marcello (Marcello Fonte) hat große Probleme, das widerspenstige Vieh zu waschen. Schließlich nimmt er einen Schlauch zu Hilfe – und redet ständig beruhigend auf den Vierbeiner ein. Als er ihn mit dem Föhn trocknet, ist aus dem beißwütigen Kläffer ein lammfrommes Hündchen geworden, das sich am Hals und auf dem Rücken genüsslich von dem kleinen, zierlichen Mann kraulen lässt. Bei kleineren Hunden wie dem niedlichen Chihuahua geht ihm Alida (Alida Baldari Calabria) zur Hand, die er nur selten sieht nach der Scheidung von seiner Gattin. Mit kleineren Kokain-Deals bessert der „Dogman“ sein karges Einkommen auf, um zusammen mit seiner Tochter an Hunde-Schönheitswettbewerben teilnehmen zu können. Seltene Höhepunkte sind zudem gemeinsame Ausfahrten aufs Meer zum Tauchen.

Zu Marcellos besten Drogen-Kunden gehört der Ex-Boxer Simone (Edoardo Pesce), ein Trumm von einem Mann. Der gewalttätige, im ganzen Viertel verhasste Schläger ist zugleich Marcellos größter Schuldner, weshalb David zu allem bereit ist, wenn Goliath seine Hilfe benötigt, ob Letzterer nun achtkantig aus der Spielhalle Francescos (Francesco Acquaroli) fliegt und verarztet werden muss oder einen nächtlichen Einbruch bei Marcellos Nachbarn, dem Goldhändler Franco (Adamo Dionisi), plant. Weil er ihm 10.000 Euro Belohnung verspricht, nimmt der Dogman sogar alle Schuld auf sich und geht für Simone ein Jahr ins Gefängnis. Natürlich sind nur ein paar kleine Scheine drin, als Marcello wieder draußen ist: seine Freunde, mit denen er nach der Arbeit noch Fußball gespielt hat auf dem von Maschendraht umzäunten Platz, wollen nun mit ihm nichts mehr zu tun haben – und Tochter Alida darf nicht mehr kommen.

Die Zeit der Rache scheint endlich gekommen zu sein, und es trifft nicht nur Simones nagelneues Motorrad... Dogman ist ein Rachedrama mit für meinen Geschmack allzu brutalen, blutigen Szenen, ein erbarmungsloser Kampf zwischen David und Goliath in wahrhaft biblischer Dimension. Für den 1968 in Rom geborenen Drehbuchautor und Regisseur Matteo Garrone konfrontiert uns seine „extreme“ Geschichte „mit den Konsequenzen der Entscheidungen, die wir täglich treffen, um uns über Wasser zu halten; mit den Jas, die ein späteres Nein ausschließen; mit dem Unterschied zwischen dem, was wir sind und was wir zu sein glauben.“ Dogman ist eine allegorische Loser-Geschichte und insofern vielleicht tatsächlich eine aktuelle Parabel auf den hoffnungslosen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Zustand (Süd-) Italiens.

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Am Ende bringt seine als Triumph geplante blutige Gewaltorgie für Marcello keine Entlastung: er hockt allein auf dem menschenleeren, zutiefst öden Platz der heruntergekommenen Sozialsiedlung ohne Aussicht auf gesellschaftliche oder gar familiäre Anerkennung. Garrones Protagonist ist ein Träumer, der die Realität seiner banalen Existenz ohne Licht am Ende des Tunnels nicht wahrhaben will. Er taucht stattdessen in die Welt der Illusionen ab – und das ist binnen gut einhundert Minuten nur schwer auszuhalten. Wer sich mit Bewohnern am Rande der – hier japanischen – Gesellschaft freuen und mit ihnen leiden will, muss noch bis zum 27. Dezember 2018 warten, dann kommt Shoplifters – Familienbande in unsere Kinos. Regisseur Hirokazu Kore-Eda erhielt heuer für seine grandios besetzte Tragikomödie die Goldene Palme in Cannes.

| Autor: Pitt Herrmann