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Toni (Adel Karam) und Yasser (Kamel El Basha).

Neu im Kino: Der Affront

Shirine Hanna (Rita Hayek) ist schwanger. Die libanesische Christin will weg aus dem lärmenden Beirut, hinaus aufs Land ins Dorf ihrer Schwiegereltern. Dort soll das Kind in aller Ruhe und familiärer Geborgenheit aufwachsen. Doch ihr Gatte Toni (Adel Karam), glühender Anhänger des wortgewandten Populisten Samir Geagea (Rifaat Torbey), dem Vorsitzenden der christlichen Partei Forces Libanaises (FL), hat gleich nebenan eine Autowerkstatt, in der Shirine die Büroarbeit erledigt. Wie soll das gehen? Als ihm Yasser Salameh (Kamel El Basha), der palästinensische Vorarbeiter einer Baubrigade, die gerade ganze Straßenzüge renoviert, anbietet, den defekten Abfluss an seinem Balkon zu reparieren, reagiert Toni harsch ablehnend. Dennoch macht sich Yasser an die Arbeit, schließlich ist er gerade unfreiwillig von einem Schwall Blumenwasser nass geworden. Was Toni wiederum jähzornig werden lässt: er zertrümmert das nagelneue Rohrstück – und wird nicht wirklich zu Unrecht als Scheißkerl beschimpft. Doch damit noch nicht genug: Toni beschwert sich bei Yassers Chef Talal (Talal El Jurdi), der, um juristische Auseinandersetzungen um die illegale Beschäftigung des palästinensischen Ingenieurs in seiner Firma zu vermeiden, die Entschuldigung des Unschuldigen verspricht.

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„Wir sind hier in deren Viertel“: Yasser, dem dieser höchst ungerechte Gang nach Canossa sichtlich schwer fällt, erscheint anderntags in der Autowerkstatt, um das Versprechen seines Vorgesetzten einzulösen. Doch auf dem kleinen Bildschirm an der Hubbühne läuft ein Video mit Hetztiraden des verstorbenen FL-Gründers Bachir Gemayel, der dazu aufruft, alle palästinensischen Flüchtlinge aus dem Libanon hinauszuwerfen. Als dem darob tief gekränkten Yasser die Entschuldungsworte nicht über die Lippen gehen wollen, setzt Toni mit einem israelischen Hardliner noch einen drauf: „Scharon hätte euch alle auslöschen sollen.“ Nun fliegen Fäuste... Shirine und sein Vater Georges Hanna (Georges Daou) flehen Toni an, den Streit auf sich beruhen zu lassen trotz zweier gebrochener Rippen und einer achtwöchigen Arbeitspause in der Werkstatt. Doch der radikale Christ hält nichts von Nächstenliebe: „Bin ich Jesus?“Es kommt zur Gerichtsverhandlung. Selbst als der nüchtern abwägende Richter Chahine (Carlos Chahine) Yasser freispricht, gibt der cholerische Toni keine Ruhe. Der Streit eskaliert nun auch politisch im Pulverfass der Religionen und Ethnien der Zedernrepublik...

Ziad Doueiri (The Attack), der sein Handwerk unter anderem als Kameraassistent von Quentin Tarantino gelernt hat, erzählt die Geschichte einer Eskalation, wie er sie selbst erlebt hat – und die nicht nur im aufgeheizten Nahost-Klima zum Alltag gehört. Der Affront richtet den Fokus auf einen hierzulande völlig aus dem Blickfeld geratenen Dauerkonflikt in der einst so liberalen und toleranten Gesellschaft Libanons: Wie umgehen mit den Palästinensern, die inzwischen seit mehreren Generationen im Land leben. Sie sind schon längst keine Flüchtlinge mehr, sondern Heimatvertriebene. Nur die Politik, die divergierenden Interessen der Politiker, verhindern die längst überfällige Integration der zum Spielball verkommenen Menschen. Selbst vor den Schranken des Gerichts: der Promi-Rechtsanwalt Wajdi Wehbe (Camille Salameh) nimmt sich Tonis Sache an, seine ehrgeizige Tochter Nadine (Diamand Abou Abboud) vertritt Yasser ohne Honorar – und mit den gleichen perfiden, virtuos auf der Klaviatur der Medien spielenden Mitteln. Selbst Toni muss erkennen, dass er zu Publicity-Zwecken ausgenutzt wird – und leistet draußen auf dem Parkplatz Starthilfe bei Yassers Oldtimer. Ein leiser Hoffnungsschimmer, dass die Streitenden sich künftig nicht mehr als Feinde sehen...

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Ein brisantes Thema, eine über 113 Minuten fesselnde Umsetzung – gerade auch was den bei uns völlig unbekannten historischen Hintergrund betrifft: Beim Massaker von Damour exekutierten im Januar 1976 libanesische und palästinensische Milizen die gesamte christliche Bevölkerung, auch Frauen, Kinder und Alte. Vor Gericht wird klar, dass es in der Geschichte Libanons keine Sieger, sondern nur Verlierer gegeben hat. Übrigens: Der sunnitische Regisseur Ziad Doueiri ist mit seiner christlichen Co-Autorin Joelle Touma verheiratet. Nicht zuletzt: Die Hauptrollen sind großartig besetzt mit dem Beiruter Comedian Adel Karam und dem renommierten palästinensischen Theatermacher Kamel El Basha, der für seine Rolle des Yasser Salameh bei den Int. Filmfestspielen in Venedig 2017 mit dem Coppa Volpi als „Bester Darsteller“ ausgezeichnet wurde. Der Affront startet am Donnerstag, 25. Oktober 2018, in den deutschen Kinos und ist in unserer Region im Essener Filmstudio Glückauf an der Rüttenscheider Straße 2 unweit des Folkwang-Museums zu sehen.

| Autor: Pitt Herrmann