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Nachtschwester im Ausnahmezustand

"Das sind erhebliche Vorwürfe. Und das bei einer erfahrenen Krankenschwester, die genau wissen sollte, was sie darf und was nicht." Erste Einschätzung von Arbeitsrichterin Rohkämper-Malinowski, nachdem Rechtsanwalt Fahrig die Gründe geschildert hatte, warum die evangelische Krankenhaugemeinschaft Herne einer seit 16 Jahren beschäftigten Krankenschwester im Sommer eine "fristlose Tatkündigung" ausgesprochen hatte.

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Zu Beginn der Nachtschicht vom 25./26. 6.2017 hatte die Frau einem verwirrten Patienten, der sich selbst seinen Blasenverbleibkatheter gezogen hatte, eigenmächtig einen neuen Katheter angelegt, nachdem sie vorher mit einer Kollegin, die schon vier Jahrzehnte im EvK arbeitet, darüber gesprochen hatte. Eine Stunde später stellte sie bei einem Kontrollgang Blut im Urin des Patienten fest, zog den Katheter und spülte ihn, bevor sie ihn wieder anlegte. Danach, und das war Inhalt des zweiten Vorwurfs, verabreichte sie dem Patienten ein beruhigendes Schmerzmittel, das den Mann zur Verwunderung der folgenden Frühschicht bis mittags tief schlafen ließ. Auch das angeblich ohne ärztliche Indikation.

Zum Vortrag der Arbeitgeberseite befragt, brach es aus der von Rechtsanwalt Bartels vertretenen Krankenschwester förmlich heraus und ließ erahnen, unter welchem Druck das Pflegepersonal in Krankenhäusern vor allem nachts steht. Das eigenmächtige Anlegen des Katheters hatte die Klägerin schon bei der ersten Anhörung im Krankenhaus eingeräumt. Und auch im Gericht sprach sie von einem "Fehler", nur die Kollegin zu Rate gezogen zu haben. Bei der Verabreichung des schmerzstillenden Beruhigungsmittels verwies sie jedoch auf den mündlichen Rat des in jener Nacht für das gesamte Krankenhaus einschließlich der Notfallambulanz zuständigen Arztes, der nach diesem Ratschlag sofort weg war und die Medikation auch nirgedwo dokumentiert hatte. Vor allem nachts herrsche nur "Druck, Druck und nochmals Druck," so die Klägerin weiter, "und wir wurden in solchen Fällen nur eingeschüchert." Bei soviel Druck "macht jeder einmal einen Fehler." In vielen Fällen werde man von den um Hilfe gebetenen Ärzten mit deren Hinweis auf die Unabkömmlichkeit in der Notfallambulanz "abgewürgt."

Für EvK-Anwalt Fahrig nur "Schutzbehauptungen", für die Richterin allerdings die Beschreibung "eines sehr anstrengenden Berufes," wie sie es vorsichtig ausdrückte. Für die Klägerin kam erschwerend hinzu, dass sie unter dem Schock der fristlosen Kündigung die dreiwöchige Klagefrist verstreichen ließ und deshalb auch noch die "nachträgliche Zulassung" beantragen musste. Den Vorschlag des Gerichts, die fristlose Kündigung um eine soziale Auslauffrist bis zum 31. März 2018 zu verlängern, "werden wir mitnehmen und der Geschäftsführung vorlegen," so Rechtsanwalt Fahrig.

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Ohne Einigung wird es kurz vor Weihnachten einen Kammertermin geben, bei dem wohl auch der damals im Nachtdienst verantwortliche Arzt als Zeuge geladen werden dürfte. Mitarbeitervertretungen von Krankenhäusern raten für den Fall solcher Erlebnisse den Betroffenen immer, schriftlich eine "Gefährdungsanzeige" bzw. eine "Überlastungsanzeige" niederzulegen. Dem damaligen Patienten war übrigens gesundheitlich kein Schaden entstanden. (AZ 1 Ca 1682/17)

| Autor: Helge Kondring