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Martin Horn, Dominik Dos-Reis, Friederike Becht, Veronika Nickl und Michael Lippold auf dem Schoß von Romy Vreden.

Kneipen-Kantate überzeugt nur musikalisch

Kein Fest für Mackie

„Zur Ewigkeit“ heißt die Kneipe, deren Tresen das Parkett des Musikforums im Bochumer Bermuda-Dreieck teilt zwischen den Musikern der Bochumer Symphoniker samt ihrem Dirigenten Steven Sloane und dem Publikum. Während die Wirtin Cecilia Peachum (Veronika Nickl) damit beschäftigt ist, einen Mettigel zu dekorieren, dämmert ihr Gatte Jonathan (Martin Horn) linkerhand vor sich hin: „Dem sein Kopf ist jetzt immer unter Tage.“ Noch größere Probleme, sich auf dem Barhocker zu halten, hat freilich Michael Lippolds stark alkoholisierter Kommissar außer Dienst „Tiger“ Braun, der angesichts der tristen Gegenwart wie die Peachums von besseren Zeiten träumt.

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Apropos Träume. Vorn auf den Stufen hockt Bochum-Rückkehrerin Friederike Becht als liebeskranke Psychologin Jenny und schmachtet nach einem Kerl, der einst hier Musik gemacht – und sie schwer beeindruckt hat. Auch vom vermaledeiten Mackie (ohne Messer: Guy Clemens), der unbedingt die Eröffnungsansprache zum 100. Jubiläum des Etablissements halten soll, fehlt jede Spur. Einst größter Gangster der Stadt, der erst Kohle aus der Erde und später die nicht abbezahlten Fernseher aus den Reihenhausbuden der brotlos gewordenen Kumpel holte, traut sich Mackie heute nicht mehr aus seiner Kühlturm-Festung rechterhand heraus. Was an einem Überfall auf offener Straße liegen mag, sicherlich aber mehr noch mit seiner Gattin Polly (Romy Vreden) zu tun hat, die ihn und die Geschäfte, genauer gesagt die Firma „Bergmanns Freund“, im Griff hat.

Johan Simons, Steven Sloane und Moritz Eggert.

Polly engagiert ehemalige Kumpel, aber auch junge Studenten wie Hauer-Hendrik (Dominik Dos-Reis, welche sie in die traditionelle Kluft der Bergleute steckt zum Spendensammeln, Pizza ausfahren oder Steigerlied-Singen. In der Kneipe des Viertels soll nun zum Jubiläum groß gefeiert werden, denn der Laden hat seine besten Zeiten hinter sich und Polly braucht zum Überleben jeden zahlenden Gast. Alle sind sie eingeladen, auch der Bürgermeister, eine Kneipenkantate soll es geben – sogar der Pianist (großartige Bühnenpräsenz: der Komponist Moritz Eggert als Klavierspieler-Karl) sitzt schon bereit. Die Eheleute Peachum, die ihre Tochter Polly immer noch dafür hassen, ihnen diesen Taugenichts Mackie als Schwiegersohn beschert zu haben, sind für die Feierlichkeiten gerüstet. Aber müssten die Gäste nicht schon längst da sein? Wo bleiben die verfluchten hundert Menschen, mit denen man mindestens rechnet, um die Kasse zu sanieren? Und wo steckt eigentlich dieser verdammte Studentenchor, der in Bergmannskluft ein bisschen Stimmung machen soll?

Sowohl das Schauspielhaus Bochum als auch die Bochumer Symphoniker feiern heuer ihr einhundertjähriges Bestehen. Da haben sich die beiden Chefs Johan Simons und Steven Sloane gefragt, warum so viel Zeit vergehen musste, bevor beide führenden Kultur-Institutionen unseres nördlichen Nachbarn ein gemeinsames Projekt angehen: Zum Doppeljubiläum gibt’s mit „Ein Fest für Mackie“ eine, so der Untertitel, „Kneipen-Kantate für Bettler, Bergleute und Betrunkene“. Prominent besetzt mit sieben Schauspielern, darunter Friederike Becht als Jenny und Martin Horn als Jonathan Peachum, den Bochumer Symphonikern und dem Ruhrkohle-Chor. Obwohl jeweils 750 Plätze im verkleinerten Auditorium zur Verfügung stehen, waren vier der fünf Aufführungen bereits vor der Uraufführungs-Premiere am 10. Oktober 2019 im Anneliese Brost Musikforum ausverkauft.

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Vom Mond über Soho zum Mond über der Ewigkeit: Für diesen bis auf die schmissige Musik nicht sehr vergnüglichen neunzigminütigen und am Premierenabend mit Buh-Rufen quittierten matten Ruhrgebiets-Abgesang in der Inszenierung des Schauspielhaus-Intendanten Johan Simons und unter der musikalischen Leitung von Steven Sloane standen nur scheinbar altbekannte Figuren aus der „Dreigroschenoper“ Pate - da seien die Rechteinhaber Bertolt Brechts und Kurt Weills vor. Wie seinerzeit B.B. ließ sich der Journalist, Hörspielautor und Schriftsteller Martin Becker für die Rahmenhandlung – und die Liedtexte – von einem erheblich älteren Werk inspirieren, der 1728 im Londoner Lincoln’s Inn Fields Theatre uraufgeführten „The Beggar’s Opera“ von John Gay (Text) und Johann Christoph Pepusch (Musik). Moritz Eggert, einer der vielseitigsten und innovativsten Komponisten der Neue-Musik-Szene, hat sich freilich mehr an Weills Musik für Schauspieler gehalten als an Pepuschs „Ballad Opera“ – zur Freude des Publikums. Der gebürtige Heidelberger des Jahrgangs 1965 und Professor für Komposition an der Musikhochschule München, der im Revier schon einige Erfolge verbuchen konnte vom Fußballoratorium „Die Tiefe des Raumes“ in der Bochumer Jahrhunderthalle im Rahmen der Ruhrtriennale 2005 bis hin zur Kochoper für Kinder „Teufels Küche“ 2015 am Gelsenkirchener Musiktheater im Revier, erweist sich nun auch als toller Schauspieler, der wie seine sieben Bochumer Kollegen die Herausforderung meistert, erstmals synchron mit einem ganzen Sinfonieorchester singend zu agieren und dabei im Gegensatz zu den Musikern den Dirigenten nur über kleine Monitore sehen zu können.

| Quelle: Pitt Herrmann