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Ella (Helen Mirren) und John (Donald Sutherland) auf dem Roadtrip entlang der Ostküste.

In der Filmwelt: Das Leuchten der Erinnerung

Die lächerlichen Seiten des Lebens können komisch oder fürchterlich sein – aber auch recht langweilig. Wie in der ersten Stunde von The Leisure Seeker, des ersten englischsprachigen Films des renommierten italienischen Regisseurs Paolo Virzi (Die Überglücklichen, Die süße Gier). Dessen Titel Bezug nimmt auf den Namen des in die Jahre gekommenen Winnebago-Wohnmobils, der die Ummantelung des Ersatzreifens am Heck ziert über dem fürchterliche Abgaswolken auswerfenden Auspuff. Unter dem deutschen Titel Das Leuchten der Erinnerung ist die Gerontokomödie nun am Montag, 22. Oktober 2018, und Mittwoch, 24. Oktober 2018, jeweils um 14.30 Uhr in der Filmwelt Herne zu sehen.

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Mit besagtem Winnebago sind der pensionierte Hochschullehrer John Spencer (Donald Sutherland) und seine Gattin Ella (Helen Mirren) klammheimlich ausgebüxt. Als ihr Sohn Will (Christian McKay) das Elternhaus in Wellesley/Massachusetts betritt, um Lebensmitteleinkäufe zu bringen, ist es verwaist – obwohl hier ganz offensichtlich gerade noch Menschen im Bett geschlafen, das Bad benutzt und am Frühstückstisch gesessen haben. Aber der Oldtimer aus dem Jahr 1975 ist aus dem Carport verschwunden und Lillian (Dana Ivey), seit Jahrzehnten Nachbarin und Freundin der Spencers, bekundet, am frühen Morgen, eigentlich noch in der Nacht, Geräusche eines abfahrenden Wagens vernommen zu haben. Ella und John gehen nicht ans Handy, sodass der hypernervöse Will seine ältere Schwester Jane (Janel Moloney), selbst inzwischen College-Dozentin, herbeizitiert. Sollen sie die Polizei alarmieren? Beide Eltern sind zwar schon alt und offenbar sehr krank, aber durchaus noch mündige Bürger der Vereinigten Staaten: während John seine zunehmende Vergesslichkeit zu schaffen macht, plagen Ella schlimme Unterleibsschmerzen und sie muss täglich ein ganzes Arsenal von Pillen und Tropfen zu sich nehmen.

Im schon nostalgischen Wohnmobil geht es zu entsprechender Musik aus dem Radio die Ostküste entlang gen Süden. Ziel ist die Villa von Ernest Hemingway in Key West, die sich der Literaturwissenschaftler immer schon ansehen wollte. John sitzt in Schlips und Kragen hinterm Steuer, während es sich Ella bequem gemacht hat. Gegensätze, sagt man, sollen sich anziehen. So gesehen bilden der zumeist schweigsame, aber auch sehr unduldsame Intellektuelle und die warmherzige Quasselstrippe von Hausfrau und Mutter ein ideales Paar. Sie übernachten zumeist auf Campingplätzen und schauen sich abends Dias aus ihrem vergangenen Leben an, was stets auf großes Interesse der Platznachbarn und sogar junger Leute stößt, die sich selbst zum Bier einladen. Dabei soll vor allem sein Erinnerungsvermögen trainiert werden, obwohl auch Johns Kurzzeitgedächtnis immer wieder arge Lücken aufweist: Nach einem Tankstopp muss Ella auf dem Motorrad hinterhergefahren werden, um wieder ihren Platz als Beifahrerin einnehmen zu können. Andererseits kann er sich noch gut an den Namen einer früheren Studentin erinnern, die bei ihm Examen gemacht hat und in der zufälligen Begegnung mit John ihn ihren Kindern gegenüber als besten Lehrer von allen rühmt.

Die ersten sechzig von insgesamt doch langen 113 Minuten gehen als episodenreiches, aber nicht wirklich spannendes Roadmovie durch. Ein Überfall zweier junger Straßenräuber während einer Reifenpanne und der Besuch bei Ellas erster großen Liebe Dan Coleman (Dick Gregory) gehen als actionreichste Szenen durch. Doch dann gelingt die Wende zu einer veritablen Zimmerschlacht im Wohnmobil: John erinnert sich angesichts der zwar nicht bewegten, aber innerlich bewegenden Bilder aus der Vergangenheit an Details, die Ella zumindest zeitweise an seiner ehelichen Treue zweifeln lassen – mit erheblichen Folgen, die hier natürlich nicht verraten werden. Nur soviel: Ella ist es leid, immer noch als dummes Frauchen zwischen dem klugen Gatten und der klugen Tochter zerrieben zu werden...

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Das Leuchten der Erinnerung baut seine Geschichte in Entsprechung zur körperlichen Verfassung seiner beiden Protagonisten allmählich auf. Und punktet mit der Klasse-Besetzung zweier Weltstars, die sich für keine noch so heikle Szene unterhalb der Gürtellinie (was hier bitte im geographischen, nicht im moralischen Sinne zu verstehen ist) zu schade sind: Helen Mirren und Donald Sutherland halten gerade dem jungen, zu vorschnellen Urteilen neigenden Publikum den Memento-Mori-Spiegel vor. Und das ganz ohne Melodramatik. Was, scusi tanto, nicht wirklich italienisch ist. Entgegen der Buchvorlage von Michael Zadoorian, die von einem Roadtrip entlang der legendären Route 66 erzählt mit den allseits bekannten Westküsten-Highligts vom Monument Valley bis zum Disneyland, hat sich Paolo Virzi weniger auffällige Orte für die Kamera Luca Bigazzis ausgesucht entlang der hierzulande noch weitgehend unbekannten Route One entlang der Ostküste. Zudem hat er den spektakulären Präsidentschaftswahlkampf Donald Trumps aus dem Sommer 2016 integriert: Ella und John, die immer die Demokraten gewählt haben, fahren durch ein Amerika, so der Regisseur, „das sie nicht wiedererkennen und dass sie letztlich verlassen wollen.“

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  • Montag, 22. Oktober 2018, um 14:30 Uhr
  • Mittwoch, 24. Oktober 2018, um 14:30 Uhr
| Autor: Pitt Herrmann