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Kunterbuntes Kulttheater: Murmel Murmel.

Herbert Fritsch zum Ersten: Murmel Murmel

Bevor am 22. Dezember 2018 seine Inszenierung Die Philosophie im Boudoir, eine Adaption des Textes von Marquis de Sade von 1795 Uraufführung feiert am Schauspielhaus Bochum mit Jele Brückner, Anna Drexler und Hanna Hilsdorf, ist am gleichen Haus mit Murmel Murmel nach Dieter Roth ein Blockbuster des Kultregisseurs Herbert Fritsch zu erleben. Der Ende März 2012 an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin wahre Triumphe feierte. Obwohl dem Dutzend Akteuren, darunter Wolfram Koch, Anne Ratte-Polle, Axel Wandtke und der Marimbaphon-Spieler Ingo Günther, in äußerst kurzweiligen neunzig Minuten nur ein einziges Wort über die Lippen kommt: Murmel. Das damals noch Castorfsche Haus war stets ausverkauft, weshalb es dringend geboten erscheint, sich frühzeitig um Karten zu bemühen für die Bochumer Premiere am Donnerstag, 29. November 2018, oder eine der Folgevorstellungen.

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Für die Hommage an den, 1930 in Hannover geborenen und vor 20 Jahren verstorbenen Fluxus-Künstler, Musiker, Filmemacher und Verleger Dieter Roth, hat Victoria Behr eher konventionelle Kostüme mit gewaltigen Perücken der Damen und nostalgischen Hüten der Herren kombiniert - zum Schreien komisch in einem papageienbunten Farbflächen-Bühnenbild Herbert Fritschs, an dem ein Josef Albers seine Freude gehabt hätte. Es öffnet sich rampenartig zum Parkett hin: höherer Nonsens in der einstigen Dada-Hochburg Berlin um Hannah Höch und Raoul Hausmann und nun auch an der Bochumer Königsallee.

Der Abend beginnt wie eine Sprech-Oper mit Bonsai-Libretto: Nachdem der Musiker umständlich seinen Weg mitten durchs Parkett in den Graben gefunden, mehrmals auf die Uhr geblickt und sein Instrumentarium sorgsam sortiert hat, steht Bastian Reiber einsam am Pult und skandiert 'das' Wort ohne Ende, gerät in Verzückung und dirigiert sich und einen zweiten, während ein dritter geradezu artistischer Sängerknabe mit der Tücke des Objekts kämpft, seinem Hut, der partout nicht auf dem Kopf bleiben will. Herbert Fritsch, selbst ein begnadeter Slapsticker, holt aus dem seinerzeit mit Gästen verstärkten Ensemble die unglaublichsten – und dann häufig auch noch kollektiven – Verrenkungen heraus. Optisch wie akustisch. Das reicht bis hin zum in Ovationsstärke gefeierten Spagat.

Die wohlklingend gesprochenen, nebenbei bemerkten, rasch hingerotzten, gebrüllten, gelallten, gesungenen, chorisch skandierten oder minutiös buchstabierten Murmel-Variationen wollen schier kein Ende nehmen. Wie bei der Reise nach Jerusalem wird das Wort reihum artikuliert bis einer ausscheidet, dann geht’s andersherum: die Murmelnden werfen sich das Wort wie einen Ball zu, aber jeder ist froh, wenn er gerade nicht als Adressat ausgewählt worden ist. Auch der Musiker mischt mit, landet kopfüber in der Box der Souffleuse. Jeder tritt 'mal murmelnd an die hier eher fiktive Rampe, die auch als Chorus Line fungiert. Es wird kollektiv gemurmelt, etwa beim Ausflug in die Showbusiness-Welt des Schlagers, bei dem sich die Schauspieler als ausgezeichnete Sänger entpuppen. Das hat schon Wittenbrink-Qualität!

Neunzig pausenlose Minuten können nicht wie aus einem Guss gefüllt werden, auch der akribische (Wort-) Akrobat Herbert Fritsch muss sich und den Seinen 'mal eine Verschnaufpause gönnen. Dann gibt’s minutenlang eine Mikrophon-Slapstick-Nummer vom Feinsten – artistisch und akustisch. Und infantile Spielchen: die Madels, von denen angeblich drei auf den Brettern stehen, massieren sich an der Rampe ihre Nippel. Bevor alle weidlich eine Sprung-Matratze nutzen, wie wir sie noch aus den eigenen Schulsport-Stunden in keiner so guten Erinnerung haben. Aber auch die optischen, sehr farbintensiven Effekte haben es in sich: Fritsch setzt auf filmische Techniken, vergrößert oder verkleinert die Ausschnitte wie wenn sich bei der Spiegelreflex die Blende öffnet oder schließt.

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Plötzlich tauchen alle in bunten Trikots und Tütüs auf, dann ohne Tüll-Röckchen, dafür aber mit Masken: Abendfüllend soll der Spaß mit diesen Springteufelchen halt sein, und wird für einige weniger Fritsch-Affine dann doch zur Geduldsprobe. Erst scheint die Blue Man Group in den falschen Farbtopf gefallen zu sein, dann wird eine Pantomime a la Marcel Marceau verfritscht. Und schließlich jubelt das Parkett zehn kleinen Negerlein zu. Huch, das sagt rsp. singt man doch nicht mehr! Aber Political Correctness war – zum Glück – bei Herbert Fritsch noch nie ein Thema.

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  • Freitag, 30. November 2018, um 19:30 Uhr
  • Samstag, 8. Dezember 2018, um 19:30 Uhr
  • Samstag, 29. Dezember 2018, um 19:30 Uhr
| Autor: Pitt Herrmann