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Yalitza Aparicio als Cleo.

Nur kurzes Kino-Gastspiel der Netflix-Produktion

Für zehn Oscars nominiert: Roma

Unmengen von Wasser ergießen sich auf den gekachelten Boden einer zur Straße hin mit einem Tor verschlossenen Hofeinfahrt. Was angesichts der Hinterlassenschaften des Hundes, der Tag und Nacht den Innenhof nicht verlassen darf, auch notwendig erscheint. Dennoch gelingt es dem Hausherrn, der mit Effet seinen amerikanischen Straßenkreuzer durch die viel zu enge Einfahrt zwängt, immer wieder, in eine der Tretminen zu schlindern. Mexiko-Stadt, Anfang der 1970er Jahre. Die junge indigene Cleo (fulminantes Debüt: die Mixtekin Yalitza Aparicio) arbeitet als Hausmädchen für eine mexikanische Mittelstandsfamilie, zu der auch die Großmutter Teresa (Veronica Garcia) gehört, im vornehmen Stadtteil Roma. Zusammen mit ihrer Freundin, der Köchin Adela (Nancy Garcia), kümmert sie sich nicht nur um die großbürgerliche Villa mit zahlreichen verglasten Bücherschränken, sondern auch aufopferungsvoll um die vier Kinder des Haushalts.

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Cleo, die eigentlich Marita heißt, und Adela bewohnen gemeinsam eine kleine Kemenate im Hinterhaus, die nur über eine schwindelerregende Freitreppe erreicht werden kann. Obwohl die Familie wohlhabend genannt werden kann, stehen den beiden Angestellten technische Hilfsmittel wie Wasch- oder Spülmaschine nicht zur Verfügung. Gewaschen wird in einem Steintrog auf dem Flachdach des Hauses – unter einem kakophonischen Lärm aus lauter Schlagermusik, permanentem Hundegebell und ständiger Autohuperei. Als sich ihre Arbeitgeber Sara Sofia (Marina de Tavira) und deren Gatte Dr. Antonio (Fernando Grediaga) trennen und letzterer zuhause auszieht, hilft sie Sofia, diesen Umstand vor den Kindern so lange wie möglich geheim zu halten. Doch die Dienstreise ins nordamerikanische und später gar europäische Ausland zieht sich immer länger hin, sodass am Ende nur noch das Schlachtschiff von Ford Galaxy zurückbleibt, den Sofia nicht zu bändigen weiß und am Ende gegen einen kleineren Japaner austauscht.

Nicht nur Sofia muss sich kleiner setzen, auch Cleo, die von ihrem Freund Fermin (Jorge Antonio Guerrero) schwanger wird. Gerade haben sie sich im Kino noch gemeinsam über die französische Kriegs-Komödie Drei Bruchpiloten in Paris mit Louis de Funes amüsiert, da weist der körperlich eher zierliche, aber machohaft auftretende Martial-Art-Fan jede Verantwortung von sich und ergreift feige die Flucht. Adela wäre es mit ihrem Freund Ramon (Jose Manuel Guerrero Mendoza), der in einer Slum-Siedlung an der Peripherie lebt und zusammen mit Fermin in einer Band spielt, offenbar nicht anders ergangen. Das Weihnachtsfest wird im ganz großen Familien- und Freundeskreis auf dem Lande bei der Großtante Benita (Clementina Guadarrama) verbracht – und bis ins Neue Jahr verlängert. In der Silvesternacht bricht in unmittelbarer Nachbarschaft ein großes Feuer aus. Zurück in Mexiko-Stadt brennt es nach politischen Studentenunruhen plötzlich auch auf den Straßen. Die blutige Eskalation der Gewalt bekommen Cleo und Teresa, die gerade in einem Möbelhaus ein Kinderbett für den zu erwartenden Nachwuchs des Hausmädchens kaufen wollen, hautnah mit: Demonstranten werden von bewaffneten Milizen in Zivilkleidung niedergeschossen. Die beiden Frauen sehen sich sogar selbst bedroht – von der Pistole Fermins, der zu den Paramilitärs gehört.

Cleo und ihre Kinder am Strand.

Durch den Schreck setzen bei Cleo vorzeitig die Wehen ein. Nur weil Teresa mit der leitenden Ärztin Dr. Velez (Zarela Lizbeth Chinolla Arellano) befreundet ist, kommt sie unmittelbar in der hoffnungslos überfüllten Frauenklinik, in der Bahnhofshallenatmosphäre herrscht, unters Messer – leider vergeblich. Diese einschneidenden Erlebnisse des Ausgeliefertseins schweißt die Frauen nur noch mehr zusammen – jenseits aller Klassenschranken zwischen der einfachen, aus Oxaca stammenden Mixtekin und der durchaus selbst intellektuellen Gattin eines Promovierten. Wie Schwestern kümmern sie sich zusammen mit der Großmutter um die vaterlose Familie, die zur Erholung erst einmal einen Strandurlaub macht, bevor Sofia sich um einen Ganztagsjob bemüht…

Mit Roma ist Alfonso Cuaron (Childen of Men, Oscar 2014 für Gravity) in seine Heimat zurückgekehrt. Er zeichnet in seinem Libo, dem Hausmädchen seiner Eltern, gewidmeten Film mit großer Empathie für seine Figuren und gleichzeitig mit unerbittlich-anklagender Schärfe das Porträt einer gutbürgerlichen Familie, der die auseinanderdriftende mexikanische Gesellschaft jede Sicherheit nimmt. Die mit 135 Minuten keinesfalls überlange Netflix-Produktion, von Cannes als Streaming-Film für den kleinen Bildschirm abgelehnt, aber 2018 in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet, erhielt im Januar 2019 in Los Angeles gleich vier Critic’s Choise Awards der US-Filmjournalisten – als bester Film, als bester nicht-englischsprachiger Film, für die beste Regie und die beste Kamera (ebenfalls Alfonso Cuaron). Seit Mitte Dezember 2018 im Netflix-Programm abrufbar ist Roma für sage und schreibe zehn Oscars nominiert, darunter auch in der Kategorie Bester Film.

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Weshalb die mit langen Kameraeinstellungen in Schwarzweiß gedrehte Hommage an das Kindermädchen Cleo (und seine eigene Nanny Libo) kurzzeitig auch in die Kinos kommen muss, was eine Voraussetzung für die Nominierung des wichtigsten Filmpreises der Welt ist. Roma wird mit deutschen Untertiteln am Dienstag, 19. Februar 2019, jeweils um 20 Uhr im Metropolis Bochum gezeigt sowie als sonntägliche Matinee am 24. Februar 2019 um 13 Uhr im Casablanca Bochum.

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  • Dienstag, 19. Februar 2019, um 20 Uhr
| Autor: Pitt Herrmann