halloherne.de

lokal, aktuell, online.

Die Zwickmühle der Hebammen

Niemand kann junge Paare vor, während und nach der Geburt besser betreuen, als eine erfahrene Hebamme. Aktuell ist es für Schwangere aber gar nicht so einfach, eine Hebamme zu finden, die sie in dieser Zeit betreut – wir haben einen Mangel an freiberuflich tätigen Hebammen. Unlängst ging es durch die Medien: Der Stand der freiberuflich tätigen Hebammen droht sogar auszusterben, weil exorbitante Haftpflichtversicherungsprämien ihnen die wirtschaftliche Grundlage entziehen. Man kann es nun aber drehen und wenden wie man will: Den hohen Haftpflichtprämien liegen veritable Katastrophen zugrunde. Neugeborene sind unter der Geburt zu Schäden gekommen, für die die betreuenden Hebammen verantwortlich gemacht und von Gerichten nach Maßgabe des geltenden Rechts zum Ersatz des Schadens verurteilt wurden.

Anzeige: Spielwahnsinn 2024

Versicherungen können ihre Prämien nicht nach Lust und Laune festsetzen, sondern müssen diese an den zu versichernden Kostenrisiken orientieren. Da heutzutage auch Kinder mit beträchtlichen Geburtsschäden eine relativ hohe Lebenserwartung haben, können die entstehenden Lasten enorme Ausmaße annehmen. Zudem werden diese Kosten auf die relativ kleine Gruppe der Hebammen abgewälzt. Auch Kliniken stöhnen unter dem Druck der Kosten des Haftungsrisikos, sind aber aufgrund ihrer Wirtschaftskraft wesentlich belastbarer. Manch kleinere geburtshilfliche Abteilung wurde aber schon aus eben jenen Wirtschaftlichkeitsgründen geschlossen.

Das Haftungsrisiko entsteht zum weit überwiegenden Teil aus der Betreuung des eigentlichen Geburtsvorganges, sowohl bei Kliniken wie auch bei freiberuflichen Hebammen. Demgegenüber sind die Haftungsrisiken aus der Schwangerschafts- und Wochenbettbetreuung praktisch zu vernachlässigen. Es sind die Geburten, die von freiberuflichen Hebammen außerhalb von Kliniken betreut werden, also Hausgeburten und ambulante Geburten in Geburtshäusern, die die hohen Haftpflichtprämien verursachen.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich halte den Beruf der freiberuflich tätigen Hebamme für unverzichtbar und einen der wichtigsten in unserer Gesellschaft. Angesichts des enormen Aufwandes, den die Kliniken betreiben, um ihren geburtshilflichen Abteilungen eine freundliche Atmosphäre zu verleihen und praktisch jeden denkbaren Wunsch unter der Geburt zu bedienen, stellt sich mir jedoch die Frage, ob Hausgeburten wirklich eine zeitgemäße Alternative darstellen, deren zusätzliche Kosten auf die Versicherten-Gemeinschaft abgewälzt werden dürfen.

Andrerseits ist für mich der Wunsch schwangerer Frauen, von der ihnen vertrauten Hebamme auch unter der Geburt betreut zu werden, absolut nachvollziehbar. Bezüglich der Kooperation mit den freiberuflichen Hebammen haben die Kliniken freilich einen enormen Nachholbedarf. Rechtliche, wirtschaftliche und oft einfach Kompetenz- und Zuständigkeitsfragen stehen dem entgegen.

Wenn man die Internetauftritte von Geburtshäusern studiert, stellt man fest, dass diese häufig weit im Bereich der Komplementär-Medizin angesiedelt sind. Damit tun sich Kliniken, die der Wissenschaft verpflichtet sind, erfahrungsgemäß schwer. Schließlich urteilen Gerichte ebenfalls auf der Basis wissenschaftlich erhärteter Fakten. Als Chefarzt würde ich eine Verantwortung für esoterische Spielereien ohne wissenschaftliche Basis nicht übernehmen wollen.

Viele Hebammen scheuen den Schritt in die Freiberuflichkeit nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen. Eine auf sich gestellte Hebamme muss am Tage und in der Nacht, am Alltag wie am Sonntag erreichbar sein. Geburten richten sich nun einmal nicht nach einem menschengemachten Dienstplan. Für eine Einzelperson ist das kaum darstellbar, erst gar nicht mit einer Familie. Eine Lösung könnte der Zusammenschluss von Hebammen in großen Gemeinschaftspraxen sein. Bei meinen Recherchen im Internet ist mir eine Praxis im Raum Stuttgart aufgefallen, in der 20 Hebammen und elf weitere Mitarbeiterinnen beschäftigt sind. Angeboten wird in dieser Praxis alles, was rund um die Geburt notwendig ist und von der Krankenkasse bezahlt wird. Zusätzlich wird eine Vielzahl sinnvoller Kurse, wie Geburtsvorbereitungskurse, Still-Workshop, Säuglingspflege, Aqua-Fit-Kurs, Geschwisterkurse, Schwangeren-Yoga, Erstausstattung, Rückbildungskurse, Fit after Baby-Kurse und noch vieles mehr angeboten - nur keine Hausgeburten. Derartige Praxen können einerseits angemessene Einkünfte bieten, andrerseits Bereitschaftsdienste vorhalten, die noch mit Familie, Gesundheit und Menschenwürde vereinbar sind.

Anzeige: Glasfaser in Crange

Schlussendlich werden die Hebammen, die freiberuflich tätig sein wollen, nicht darum herumkommen, sich in effektiven Praxisformen zusammenzuschließen. Sie sollten den Krankenhäusern Kooperationsformen abringen, die ihnen eine Betreuung von Schwangeren auch während der Geburt gestattet und gleichzeitig das Haftungsrisiko auf ein vernünftiges Maß eingrenzt. Ja, ich meine auch, sie sollten sich der Erkenntnis nähern, dass die Geburt zuhause oder in einem Geburtshaus nicht unbedingt die Königsdisziplin ihres Standes sein muss. Wenn Frauen also unter derartigen Bedingungen gebären wollen, sollten sie nach meinem Dafürhalten auch die daraus entstehenden Kosten, unter anderem für teure Versicherungen, tragen.

| Autor: Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey