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Die Töchter des Okeanos (Jele Brückner und Lukas von der Lühe) beklagen Prometheus‘ Schicksal (Konstantin Bühler, rechts).

Live-Theater für alle Sinne

Der gefesselte Prometheus

Es ist eine Geschichte aus alter Zeit, die um das Jahr 500 vor Christi Geburt zurückführt, welche die mit Anfang Dreißig immer noch jung zu nennende Regisseurin Anna Stiepani („Robinson Crusoe“, „Viel gut essen“) in ihrer ersten großen Inszenierung am Schauspielhaus so erzählt, als sei sie von heute. Obwohl sie sich eng an die Vorlage des antiken Tragödiendichters Aischylos hält, sich Aktualisierungen versagt und Verweise auf Verbrechen, (Umwelt-) Zerstörung und Krieg heutiger Potentaten ganz an den Anfang legt, dann aber als geballte Ladung eines optischen Paukenschlags unter Stroboskop-Lichtblitzen, wie wir ihn so noch nicht erlebt haben: Das Live-Erlebnis Theater ist zurück und kann mit allen Sinnen genossen werden.

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Einst waren, so ist zu lesen, Prometheus und Zeus Verbündete im Kampf um die Nachfolge von Kronos. Der Titan Prometheus (Konstantin Bühler) hatte Zeus zwar auf den Götterthron verholfen, dessen Entwicklung zu einem tyrannischen Herrscher, der die Menschen vernichten will, aber nicht tatenlos zugesehen. Indem er einen Funken aus Hephaistos Schmiede stahl und so den Sterblichen das Feuer übergab, auf dass sie Kultur und Wissen als Voraussetzung eigener Macht erringen konnten, wurde Prometheus in den Augen des Zeus zum Verräter und ans Ende der (damaligen) Welt, in den Kaukasus, verbannt.

Prometheus (Konstantin Bühler, im Spiegelbild) prophezeit Io (Marius Huth, unten) eine bedeutende Rolle am Sturz des Tyrannen.

Unter Aufsicht der Zeus‘schen Schergen Kratos („Macht“: Dominik Dos-Reis) und Bia („Gewalt“: Jele Brückner) vom Schmied Hephaistos (Lukas von der Lühe) an einen Felsen über dem Meer gekettet, ist Prometheus ohnmächtig den Unbilden der Natur ausgesetzt. Während seine Töchter (Brückner/Lühe) zu diesem eilen, um ihm zumindest verbal beizustehen, folgt ihnen der opportunistische Okeanos (betont elegante Erscheinung: Bernd Rademacher), um seinen Freund und einstigen Verbündeten Prometheus dazu zu bewegen, seinen Widerstand gegen Zeus aufzugeben und sich mit den neuen Verhältnissen zu arrangieren.

Io (dem Wahnsinn nahe: Marius Huth), als Tochter des Inachos eine Sterbliche, ist von Zeus begehrt worden, was dessen eifersüchtige Gattin Hera dazu veranlasste, ihr eine Bremse auf den Hals zu hetzen. Von den Attacken des Insekts verfolgt stößt die von blutigen Wunden gezeichnete Io auf Prometheus: der „Vorbedenker“ weissagt ihr das Ende dieser Qualen, um sie vom Selbstmord abzuhalten. Mehr noch: er weist ihr als Mutter des künftigen Retters eine bedeutende Zukunft. Schließlich schickt Zeus seinen Boten Hermes (Dos-Reis) in den Kaukasus, um Prometheus unter der Androhung weiterer Gewalt den Zeitpunkt des Endes seiner Herrschaft zu entlocken. Vergeblich: der, so Io, „größte Segen aller Sterblichen“ widersetzt sich dem Tyrannen…

Was bringt eine Regisseurin des Jahrgangs 1989, die nach ihrem Studium in Wien als Regieassistentin in Salzburg und Wien etwa unter Leander Haußmann, Herbert Fritsch, Antu Romero Nunes und Stefan Bachmann lernte und mehrfach auch dem Bochumer Intendanten Johan Simons assistierte, dazu, sich diesem Stoff zuzuwenden? Der, aber nur auf den ersten Blick, in ferne Welten führt, Mittelerde, Asgard oder Westeros nicht unähnlich. Von merkwürdigen Zeitgenossen wie Hobbit, Dobby oder Luke Skywalker bevölkert.

Das antike Aischylos-Drama „Der gefesselte Prometheus“, die neunzigminütige Aufführung beendete in den Kammerspielen die quälend lange Lockdown-Zeit am Schauspielhaus Bochum, thematisiert in seiner Zeitlosigkeit heute ganz aktuelle Fragen etwa des persönlichen Engagements im Widerstand gegen die Willkürherrschaft selbsternannter Volksbeglücker. Die Verantwortung des Einzelnen auch in seiner offenkundig nicht nur scheinbaren Machtlosigkeit rückt in den Vordergrund: seine Menschlichkeit ist Prometheus zum Verhängnis geworden. Anna Stiepani stellt die assoziative Bilderflut ganz an den Anfang und die appellative Brandrede des bei ihr aufgewerteten Götterboten ganz ans Ende ihrer Inszenierung. Was dazu führt, dass zu Vivaldis energetischem „Vier Jahreszeiten“-Sound das Bühnenbild der Ausstatterin Thurid Peine und des Lichtdesigners Bernd Felder bisweilen die ganze Aufmerksamkeit des gebannten Publikums absorbiert. Was die Regisseurin immer wieder mit genuinen Theatereffekten zu kontern sucht.

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Die nächsten Vorstellungen „Der gefesselte Prometheus“ am 18. und 19. Juni 2021 sind ausverkauft, weitere Aufführungstermine sollen bis Saisonende folgen. Näheres auf der Homepage schauspielhausbochum.de

| Quelle: Pitt Herrmann