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Flotte Rheintöchter: Lina Hoffmann, Bele Kumberger und Boshana Milkov.

Sendungsbewusste Political Correctness

Das Rheingold in Gelsenkirchen

Der Gelsenkirchener Intendant Michael Schulz versteht seine Wagner-Inszenierung Das Rheingold auch als Verbeugung vor seinem Klasse-Ensemble, das für dieses Großprojekt nur um zwei Gäste ergänzt zu werden brauchte: der niederländische Bariton Bastiaan Everink als Wotan und der Schweizer Tenor Cornel Frey als listig-verschlagener Loge. Mit den beiden deutschen Mezzosopranistinnen Lina Hoffmann und Boshana Milkov und dem stimmgewaltigen mazedonischen Bariton Zhive Kremshovski (alternierend mit Piotr Prochera als Vorschlaghammer schwingender Donner) überzeugen zudem gleich drei noch in Köln beziehungsweise in Essen studierende Mitglieder des Jungen Ensembles am MiR.

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Das Rheingold am MiR: Bastiaan Everink und Almuth Herbst.

Göttervater Wotan (dramatischer Bariton der Extraklasse: Wagner-Spezialist Bastiaan Everink) hat mehr als nur ein Problem: Er kann die Riesen Fafner (Michael Heine) und Fasolt (Joachim G. Maaß), die das chaotische Erdenwallen zunächst aus luftiger (Video-) Perspektive verfolgen, nicht für den Bau Walhalls entlohnen, weshalb diese mit Freia (Petra Schmidt) die Schwester seiner Gattin Fricka (großartig: Almuth Herbst) als Pfand entführen. Zum anderen gehört zum Rheingold, dass Wotan dem naiven Nibelung Alberich (ein Komödiant durch und durch: Urban Malmberg) abluchste, um Freia auszulösen, auch ein mit einem Fluch belegter Ring. Den guten Rat seines Beraters, des hier sehr selbstsüchtigen Feuergottes Loge (Frey alternierend mit Lothar Odinius), den Ring an die Rheintöchter zurückzugeben, schlägt Wotan ebenso in den Wind wie die Warnungen der weisen Erda (ebenfalls Almuth Herbst). Erst als Fafner im Streit um besagten Ring seinen Bruder Fasolt tötet, ahnt Wotan: das Ende der Welt könnte nahen. Die neu erbaute Burg Walhall ist nur noch ein Luftschloss, die Mythen der Vergangenheit sind mehr als fragwürdig geworden in einer Welt, die von blindem Egoismus und Machtwillen regiert wird…

Richard Wagner schuf Das Rheingold, uraufgeführt 1869 an der Münchner Hofoper als erster Teil der dann 1876 im eigens dafür erbauten Festspielhaus Bayreuth uraufgeführten Tetralogie Der Ring des Nibelungen, in Zeiten ebenso gewaltiger politischer Umbrüche in Europa. Die den Dichter und Komponisten selbst auf die Barrikaden des Dresdener Maiaufstandes 1849 führte. Im Schweizer Exil am Vierwaldstätter See skizzierte Wagner eine neue Gesellschaftsordnung - und zeigte in der Nibelungendichtung zugleich ihre Gefährdung auf. Dass Rheingold auch ein brillantes musikalisches Konversationsstück ist mit einem ausgesprochen komödiantischen Charakter, offenbarte Michael Schulz bereits 2006 am Deutschen Nationaltheater Weimar zusammen mit dem später an die Komische Oper Berlin gewechselten musikalischen Leiter Carl St. Clair. Was bis heute nachvollzogen werden kann durch die bei Arthaus wohlfeil erhältliche DVD / Blu-ray oder gleich der Box des kompletten Weimarer Ringes.

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Diese Leichtigkeit ist Michael Schulz gut ein Dutzend Jahre später seinem Sendungsbewusstsein zu plakativer Political Correctness zum Opfer gefallen. Dafür ist Heike Scheeles Bühne opulenter ausgefallen als in Thüringen: In der Nachbildung des Trans Europa Express Rheingold, der einst seine Fahrgäste luxuriös von der Nordsee bis in die Alpen – und auch zum Ring nach Weimar – beförderte, zeigen die drei Rheintöchter Woglinde (Bele Kumberger), Wellgunde (Lina Hoffmann) und Flosshilde (Boshana Milkow) viel Bein an der mit einer Tabledance-Stange ausgestatteten Bar des Restaurant-Waggons, wo sie dem armen Zwergenkönig Alberich, dem Renee Listerdal ein Alm-Öhi-Outfit verpasst hat, den strickbemützten Kopf verdrehen. Die augenscheinlich am Grunde des Rheins liegende Bahnstation Walhall mutiert als Nibelheim zum Steinkohle-Bergwerk, aus dem die Nibelungen – im wahren Wortsinn – Grubengold holen. Das sich dann bei der Übergabe an die beiden Riesen, nun ganz heutige Krawattenträger in feinem Zwirn, als Waffen, Patronengürtel, Stahlhelme und Marschgepäck herausstellt. Walhall kommt schließlich in unserem Zeitalter der allgegenwärtigen Algorithmen an, wo die Rheintöchter, sämtlich auf dem rechten Auge blind, ein Transparent entfalten mit der Aufschrift: „Ihr hattet die Wahl“. So ganz ohne jeden Hoffnungsschimmer entlässt der regieführende Intendant das Gelsenkirchener Publikum nach pausenlosen zweieinhalb Stunden aber nicht: Kinder bekennen sich zur regenbogenfarbenen (einstigen Friedens-) Bewegung…

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  • Donnerstag, 20. Juni 2019, um 18 Uhr
  • Sonntag, 30. Juni 2019, um 18 Uhr
| Quelle: Pitt Herrmann