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Dr. Renate Sommer

Brief aus Straßburg

Die Europaabgeordnete für das Ruhrgebiet, Dr. Renate Sommer, schreibt im Februar 2018 in ihrem Brief aus Straßburg: „Liebe Leserin, lieber Leser, in der vergangenen Plenartagung stimmten wir unter anderem über das Verbot der Diskriminierung beim Online-Einkauf, die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments nach dem Brexit und die Abschaffung der Zeitumstellung ab. Und wieder einmal stand die desolate Menschenrechtslage in der Türkei auf unserer Tagesordnung.

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Eigentlich garantiert Ihnen der europäische Binnenmarkt die freie Warenauswahl. Wenn Sie wissen, dass ein Produkt in einem anderen Land deutlich günstiger ist, können Sie dorthin fahren und das Produkt zu diesem günstigeren Preis erwerben. Beim Online-Einkauf gab es diese Freiheit bislang noch nicht überall. Durch das sogenannte „Geoblocking“ wurden Europäer beim Einkaufen in anderen Ländern unterschiedlich behandelt. So kostet die Eintrittskarte für einen Freizeitpark im Internet z.B. in Deutschland weniger Geld als in Belgien. Diese Art der Diskriminierung nimmt unterschiedliche Formen an: Entweder werden die Verbraucher automatisch auf eine andere Seite geleitet, oder das Produkt wird in ihrem Land nicht zugestellt, oder aber die Zahlung mit einer ausländischen Kreditkarte wird verweigert. Auf 63 Prozent aller Websites wird die Praxis angewendet. Mit dieser Art der Diskriminierung soll in Zukunft Schluss sein! Das Europäische Parlament hat nun beschlossen, dass die Praxis des Geoblocking ab dem Jahr 2020 nicht mehr erlaubt sein wird. Wir meinen, es ist höchste Zeit, die Diskriminierung im Onlinehandel zu beenden. Schließlich hatte die Europäische Kommission den Ausbau des digitalen Binnenmarktes als eine der 10 Prioritäten ihrer Arbeit genannt. Einen Wermutstropfen gibt es aber noch. Musik, E-Books, oder Online-Spiele, die dem Urheberrecht unterliegen, bleiben zunächst von der Verordnung ausgeschlossen. Auch hier soll die EU-Kommission allerdings innerhalb von zwei Jahren prüfen, ob das Verbot des Geoblocking auf diese Inhalte ausgeweitet werden soll.

In früheren Jahren hatte das Europäische Parlament nur einmal jährlich zur Situation in der Türkei Stellung genommen. Dies geschah dann immer auf der Basis des sogenannten „Fortschrittsberichts“ der EU-Kommission. Da aber mittlerweile kaum ein Tag vergeht, an dem wir keine Hiobsbotschaften über gravierende Menschenrechtsverletzungen aus der Türkei erhalten, mussten wir reagieren. Deshalb verabschiedeten wir nun schon zum wiederholten Mal eine Entschließung, in der wir scharfe Kritik an den Menschenrechtsverletzungen in der Türkei üben.

Nach dem Putschversuch im Juli 2016 hatte Präsident Erdogan umgehend den Ausnahmezustand verhängt, der seither alle drei Monate verlängert wurde. Die türkische Regierung missbraucht den Ausnahmezustand, um Kritiker jeglicher Couleur mundtot zu machen. Zu den Opfern gehören Oppositionelle, Journalisten, Menschenrechtler, Akademiker und alle erdenklichen Vertreter der Zivilgesellschaft. So saß auch der deutsche Welt-Journalist, Deniz Yücel, ein Jahr lang ohne Anklage in Haft. Wer gehofft hatte, dass die Justiz diese Willkür langfristig selbst korrigieren würde, wurde in den vergangenen Wochen eines Besseren belehrt. So hat zum Beispiel ein untergeordnetes Gericht das Urteil des türkischen Verfassungsgerichts über die Freilassung der Journalisten Mehmet Altan und Sahin Alpay schlichtweg ignoriert. Auch der Fall des Menschenrechtsaktivisten Taner Kilic, dessen angekündigte Freilassung nur Stunden später zurückgenommen wurde, ließ uns mit Kopfschütteln zurück. Wären die Fälle nicht so ernst, könnte man glauben, es handele sich um ein Kasperletheater. Dabei geraten immer neue Gruppierungen ins Visier des Präsidenten Erdogan. Standen Anfangs Kurden oder angebliche Gülen-Anhänger im Focus, muss mittlerweile jeder um seine Freiheit bangen, der auch nur den Mund gegen Erdogan öffnet. So wurden auch zahlreiche Mitglieder des Ärzte-Verbandes verhaftet, weil sie es gewagt hatten, aus humanitären Gründen den türkischen Angriff auf syrischen Kurden zu kritisieren. Wer nicht verhaftet wird, wird entlassen, enteignet oder anderweitig mundtot gemacht. Davon betroffen sind ein Drittel der Richter und Anwälte, ein Zehntel der Polizisten, 110.000 Beamte und Lehrer und 5.000 Akademiker. Alle diese Menschen und ihre Familien stehen vor dem Nichts. Es gibt für sie keinerlei soziale Unterstützung, ihre Pensionen wurden gestrichen und nirgendwo finden sie eine neue Anstellung. Die Lage ist dramatisch! Wenn die EU jetzt nicht handelt, verspielen wir unsere Glaubwürdigkeit. Die Europäische Kommission sollte endlich die Zollunion nutzen, um der Türkei die wirtschaftlichen Daumenschrauben anzulegen. Die türkische Wirtschaft befindet sich nämlich im freien Fall, und die Regierung ist mehr denn je auf den Handel mit der EU angewiesen.

Am 29. März 2019 wird das Vereinigte Königreich die EU verlassen. Was geschieht dann mit den 73 Sitzen der Briten im Europäischen Parlament? Ideen gab es viele. Eine davon, nämlich 27 der freien Plätze an Kandidaten zu vergeben, die auf einer transnationalen Liste zur Europawahl antreten, also in ganz Europa zur Wahl stehen sollten, wurde nun abgelehnt. So bleibt es dabei, dass die Wähler nur über Kandidaten aus ihrem Heimatstaat abstimmen können. Dies ist ein Sieg der Vernunft. Es macht keinen Sinn, Bürgerinnen und Bürger in Deutschland durch Kandidaten aus anderen EU-Ländern im Europaparlament vertreten zu lassen. Deutschland hätte übrigens keine Kandidaten auf der transnationalen Listen antreten lassen können. Unsere Mandatszahl ist im Lissabon-Vertrag auf 96 gedeckelt.

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Viele Menschen leiden unter den Auswirkungen der nachweislich sinnlosen Zeitumstellung auf Sommer- bzw. Winterzeit. Es ist ein Eingriff in den Lebensrhythmus, der sogar zu Gesundheitsbeeinträchtigungen führen kann. Außerdem hat die Zeitumstellung negative Auswirkungen auf den Transportsektor, die Landwirtschaft und die Wirtschaft allgemein. Das ursprüngliche Ziel, Energieeinsparungen bei der Beleuchtung zu erzielen, wurde bewiesenermaßen nicht erfüllt. Energiesparleuchten einerseits und ein mehr an Heizkosten andererseits sind die Ursachen hierfür. Deshalb wollten wir die Zeitumstellung in der EU abschaffen. Leider erhielt aber ein Gegenantrag die Mehrheit der Stimmen. Dieser fordert die EU-Kommission auf, für eine transparente Aufbereitung bereits existierender und neuer Studien zu den Auswirkungen der Zeitumstellung zu sorgen. Das ist nur ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Bis zum nächsten Straßburgbrief grüßt Sie herzlich Renate Sommer."

| Autor: Dr. Renate Sommer