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Dr. Renate Sommer

Brief aus Straßburg

Die Europaabgeordnete für das Ruhrgebiet, Dr. Renate Sommer, schreibt im Oktober 2017 in ihrem Brief aus Straßburg: "Liebe Leser, in unserer zweiten Straßburger Plenarwoche im Oktober 2017 stimmten wir für die Kürzung der Vorbeitrittsmittel für die Türkei und beschlossen das neue Ein- und Ausreisesystem für Drittstaatsangehörige. Ein weiteres Thema war unter anderem die umstrittene Reform der Entsenderichtlinie. Außerdem stellte die Europäische Kommission ihr Arbeitsprogramm für das kommende Jahr vor.

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Bislang haben wir nur einen begrenzten Überblick darüber, wer in die EU einreist und ob zum Beispiel ein Drittstaatler, dessen Visum für die EU abgelaufen ist, auch wieder ausreist. Insbesondere mit Blick auf die Terrorismusbekämpfung ist das natürlich ein unhaltbarer Zustand. Das Europäische Parlament hat daher nun der Einrichtung eines komplexen elektronischen Ein- und Ausreisesystem (EES) zugestimmt. Hiermit sollen Informationen über einreisende Personen aus Drittstaaten erfasst werden. Dazu gehören der Name, Fingerabdrücke, ein biometrisches Gesichtsbild sowie der Ort und das Datum, an dem diese Personen in die EU eingereist sind. Das System ermöglicht es Grenzbeamten, schon bei der Einreise zu sehen, ob es für eine Person in einem anderen Land eine Einreiseverweigerung gibt. Auch die Überziehung eines Visums wird automatisch an die Grenzbehörden gemeldet. Wird jemandem die Einreise in die EU verweigert, werden die Personendaten drei Jahre lang gespeichert, um zu verhindern, dass dieser Mensch über eine andere EU-Grenze einreist. Neben dem Aspekt der Sicherheit bringt das neue System aber insbesondere den vielen Geschäftsleuten, die in die EU einreisen, Vorteile. Pässe und Visa müssen künftig nicht mehr abgestempelt werden. Lange Schlangen vor der Passkontrolle wird es dann nicht mehr geben.

In dieser Plenarwoche beschloss das Europäische Parlament seine Position zum EU-Haushalt 2018. Wir setzen den Etat mit 162,6 Milliarden Euro um zwei Milliarden Euro höher an, als die EU-Kommission es vorgeschlagen hatte. Damit lehnen wir die von den Staats-und Regierungschefs geforderten Kürzungen des EU-Haushaltes ab. Angesichts der immer noch hohen Jugendarbeitslosigkeit in vielen Mitgliedstaaten und wegen des Flüchtlingszustroms der vergangenen Jahre braucht die EU schlichtweg mehr Handlungsspielraum.

Übergroße Einigkeit bestand allerdings bei der Kürzung eines Haushaltspostens: Wir wollen die umstrittenen Vorbeitrittshilfen für die Türkei um zunächst einmal 80 Millionen Euro reduzieren. Davon sollen 50 Millionen Euro ganz gestrichen und 30 Millionen Euro in die Reserve gestellt und nur dann ausgezahlt werden, wenn die Türkei ihren politischen Kurs ändert. Damit verweigern wir die Zahlung der Gelder, die für Maßnahmen zur Demokratisierung des Kandidatenlandes gedacht waren. Derartige Maßnahmen finden in der Türkei nämlich schon lange nicht mehr statt. Zwar hatte sich unsere Bundeskanzlerin im Ministerrat mit der Forderung nach einer Kürzung dieser Zahlungen um 20 Millionen Euro durchgesetzt. Das halten wir aber nicht für ausreichend.

Grundsätzlich hat ein Kandidatenland zum Beitritt zur EU Anspruch auf Vorbeitrittshilfen. Allerdings sind diese Gelder an die Erfüllung bestimmter Kriterien gekoppelt, wie Rechtsstaatlichkeit und die Achtung der Menschenrechte. Solange die türkische Regierung diese Kriterien mit Füßen tritt, müsste man eigentlich alle Zahlungen stoppen. Das ginge aber nur, wenn der Kandidatenstatus der Türkei offiziell beendet würde, und darauf können sich die EU-Mitgliedstaaten leider nicht einigen. Dennoch wollen wir mit der Mittelkürzung um 80 Millionen Euro Präsident Erdogan zeigen, dass sein Vorgehen gegen die Opposition im eigenen Land und die willkürliche Inhaftierung europäischer Staatsbürger nicht ohne Folgen bleiben. In den kommenden drei Wochen werden unsere Haushaltsexperten diesen Haushaltsentwurf mit dem Rat verhandeln.

Die Entsenderichtlinie soll Lohndumping für Arbeitnehmer verhindern, die ihren Dienst auf Anweisung des Arbeitgebers vorübergehend in einem anderen EU-Mitgliedstaat erbringen, während ihr Hauptarbeitsort im Heimatland verbleibt. Im Jahr 2015 gab es in der EU etwa zwei Millionen entsandte Arbeitnehmer, meist Polen, Deutsche und Franzosen. Bei den Mitgliedstaaten, in denen die meisten entsandten Arbeitnehmer arbeiten, handelt es sich um Deutschland, Frankreich und Belgien. Die geltende Entsenderichtlinie stammt noch aus den neunziger Jahren. Seitdem hat sich natürlich viel verändert, weshalb die Richtlinie überarbeitet werden muss. Die Mehrheit des Europäischen Parlaments fordert nun, dass der entsendete Arbeitnehmer künftig für dieselbe Arbeit den gleichen Lohn wie seine ortsansässigen Kollegen erhalten soll. Dieser Vorschlag hat aber Schwachstellen. Die Vergütung des Arbeitnehmers richtet sich nämlich nach dem jeweils geltenden Tarifvertrag am Entsendungsort. Wenn z.B. ein polnischer Unternehmer seine Arbeiter in Deutschland einsetzt, müsste er den entsprechenden deutschen Tariflohn zahlen. Dafür wäre es aber erforderlich, dass Tarifverträge künftig in allen 24 Amtssprachen der EU verfügbar sind. Wer sollte das leisten? Zudem wäre es für ein entsendewilliges Unternehmen aufgrund der Vielzahl von Tarifverträgen nur schwer nachzuvollziehen, welcher Tarifvertrag für den eigenen Arbeitnehmer im europäischen Ausland gilt. Gerade für kleine und mittlere Unternehmen wäre ein derartiger Prüfaufwand nur schwer zu stemmen. Kaum abzuschätzen ist auch, welche Auswirkungen die geforderte Verschärfung der Entsenderichtlinie auf den europäischen Arbeitsmarkt hätte. Gerade Arbeitgeber aus osteuropäischen Mitgliedstaaten könnten durch die erzwungene Lohnangleichung vom westeuropäischen Arbeitsmarkt ferngehalten werden. Das käme einer Abschottung der wohlhabenderen Mitgliedstaaten gegenüber den ärmeren gleich. Nach dem jetzigen Mehrheitsbeschluss des Europäischen Parlaments zur Entsenderichtlinie müssen sich EU-Kommission, Parlamentsvertreter und EU-Ministerrat an einen Tisch setzen und über eine gemeinsame Lösung verhandeln.

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Die Europäische Kommission hat in dieser Woche ihr Arbeitsprogramm für das Jahr 2018 vorgestellt. Konkret plant sie 26 Initiativen, die vor allem zur Stärkung der Finanzmärkte sowie zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion beitragen sollen. Dazu will Kommissionspräsident Juncker auch einen „Europäischen Minister“ für Wirtschaft und Finanzen ernennen. Weitere Schwerpunkte des Arbeitsprogramms sind die Ankurbelung von Beschäftigung, Wirtschaft und Investitionen, die Vollendung des digitalen Binnenmarktes sowie die Energieunion. Auch die Migrationspolitik steht im Mittelpunkt. Durch eine Reform der so genannten Dublin-Verordnung soll das europäische Asylsystem verbessert werden. Eine Überarbeitung der europäischen „Blue-Card“ soll die Zuwanderung dringend benötigter Fachkräfte in die EU erleichtern. Wegen der wachsenden EU-Skepsis in der Bevölkerung hatte sich EU-Kommissionspräsident Juncker bei seinem Amtsantritt 2014 auf die Fahnen geschrieben, „seine“ Kommission nur noch tätig werden zu lassen, wenn dadurch auch wirklich ein europäischer Mehrwert erzielt wird. Zahlreiche Gesetzesinitiativen wurden mittlerweile auf den Prüfstand gestellt. Die EU-Kommission schlägt deshalb nicht nur neue Maßnahmen vor, sondern zieht jetzt auch 15 unnötige oder veraltete Gesetzesvorschläge zurück. Ein guter Anfang!"