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Aussteiger gesucht

Manchmal weiß ich nicht, ob ich über den Ideenreichtum unserer Gesundheitspolitiker amüsiert oder schockiert sein sollte. Die Naivität, mit der das Problem der ärztlichen, insbesondere der hausärztlichen Versorgung in Problembereichen gelöst werden soll, ist so ein Thema. Unser Gesundheitsminister meint doch tatsächlich, man könne die Unterversorgung mit Hausärzten auf dem Lande mit einer Studienplatzquote für Medizinstudenten, die sich verpflichten, für mindestens 10 Jahre als Hausarzt in abgelegenen Gegenden tätig zu werden, begegnen. Unterstützt wird er dabei mit salbungsvollen wie realitätsfernen Sprüchen vom Präsidenten der Ärztekammer Westfalen-Lippe, Aktuell kann man davon ausgehen, dass mehr als die Hälfte der Hausärzte in diesen Problembereichen (dazu gehören nicht nur die Eifel oder Ostwestfalen, sondern auch sozial benachteiligte städtische Regionen, die es auch in Herne gibt) in den nächsten 10 Jahren in den Ruhestand gehen. Die Zahl der dann vakanten Arztsitze geht in absehbarer Zeit in die Tausende. Das könnte in eine veritable Versorgungskatastrophe ausarten. Die schon von Franz Müntefering gepriesene Mathematik der sauerländischen Volksschule reicht, um zu verstehen, dass es sich hier um politischen Aktionismus ohne jedes Potential zur Lösung des Problems handelt. Falls dieses Programm wirklich Interessenten in nennenswerter Zahl anlocken sollte - was ich stark bezweifle -, wären die ersten doch erst in 14 – 15 Jahren soweit, dass sie sich in einer Praxis niederlassen können. Bis dahin ist da Kind längst in den Brunnen gefallen.

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Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey.

Ich habe meine Kindheit in Ostfriesland auf dem Lande verbracht. Die Hausärzte hießen noch praktischer Arzt und Geburtshelfer. Vormittags hielten sie drei Stunden Sprechstunde. Arzthelferin war durchweg die Ehefrau, die bei Abwesenheit des Arztes gerne Rezepte ausstellte und auch unterschrieb. Nachmittags gondelte der Doktor über die Dörfer und besuchte seine Patienten. Manchmal versammelten sie sich an einer Adresse in Nachbarschaftsverbänden, vornehmlich, um schon mal ihren Krankenschein abzugeben. Die konnte der Arzt dann nach Gutdünken gewinnbringend verarbeiten. Dafür waren Atteste und Rezepte jedweder Art kein Problem, formuliert und unterschrieben oft von der Ehefrau. Und natürlich war der Doktor auch nachts und am Wochenende erreichbar. Wenn er zur Jagd war, musste auch hier die Ehefrau mit Rat, Tat und Wundversorgung aushelfen. Learning by doing. Zu kulturellem Austausch mit Bier, Wein und Hochprozentigem traf man sich mit dem Pastor und dem Apotheker.

Diese Hausarztidylle ist seit mehr als 50 Jahren Geschichte. Heute sind mehr als die Hälfte der Absolventen eines Medizinstudiums weiblich. Die haben – berechtigte - Ansprüche darauf, dass man ihren biologischen Zwängen bei der Familienplanung Rechnung trägt. Eine permanente Rund-um-die-Uhr- Bereitschaft, wie sie auch heute auf dem Lande noch vorkommt, ist für sie unmöglich und für männliche Ärzte unzumutbar. Schwangerschaften und Kinderbetreuung neben einer ärztlichen Tätigkeit, egal ob in Klinik oder Praxis, sind an sich schon eine Herausforderung. Auf dem Lande übersteigt das fast obligat die Grenzen der Zumutbarkeit. Nicht zuletzt gehen die Partner der Ärzte und Ärztinnen heute in der Regel einem eigenen Beruf nach, der selten in ländlichen Regionen ausgeübt werden kann. Die geringe Dichte mit weiterführenden Schulen und kulturellen Angeboten auf dem Lande trägt ein Übriges zur Misere bei. Das ist so und wird sich nicht ändern.

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Ich denke, dem Problem ist nur mit einem grundsätzlichen Paradigmenwechsel beizukommen. Man wird Mobilitäts- und Kommunikationskonzepte sowohl für Patienten als auch für Hausarztunternehmen entwickeln müssen. Große Praxen mit 15, 20 oder mehr Ärzten, die in Praxisbussen unterwegs sind, nur zeitweilig besetzte Praxen, eine Art Patienten-Nahverkehr zu den jeweiligen mobilen Arztstandorten, mehr Telemedizin, das sind vielleicht Konzepte, mit denen man weiterkäme. Ja, und damit müsste ein ordentlicher Gewinn zu erwirtschaften sein. Sonst kann man sich eine halbwegs ausreichende hausärztliche Versorgung in Problembereichen aus dem Kopf schlagen. Die stationäre Einzelpraxis in einem kleinen Kaff am Rande der Zivilisation ist vielleicht etwas für Aussteiger. Als Lösung für die hausärztliche Versorgung war dieses Konzept schon vor 60 Jahren veraltet. Gerade im Gesundheitswesen bin ich immer wieder erstaunt, wie sehr unsere Politiker aus der Zeit gefallen sind.

| Autor: Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey