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Cool Cats: Frage an Radio Eriwan. Gibt es ein Grundrecht auf Doofsein?

Kolumne von Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey

Impfgegner, Impfneider, Impfdrängler

Seit Beginn der Corona-Impfkampagne bin ich regelmäßig in den Impfzentren der Umgebung als Arzt tätig und deshalb schon seit Ende Februar 2021 vollständig geimpft. Vor zwei Wochen hatte ich einen Termin beim Friseur. Den konnte ich aber auch als längst vollständig Geimpfter nur wahrnehmen mit einem frischen Corona-Schnelltest.

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Journalisten werden vehement bestreiten, dass sie für Klischees empfänglich wären. Derzeit breitet sich eines jedoch unaufhaltsam in den Medien aus, nämlich dass Geimpfte Privilegien bekämen. Es mag, international betrachtet, ein Privileg sein, in einem Staat mit einem funktionierenden Rechtssystem zu leben. Die deutsche Verfassung verbrieft Grundrechte, die man von staatlicher Seite nur mit sehr zwingender Begründung einschränken kann. Wir erdulden sogar seit gut einem Jahr, wie Querulanten, die sich selbst Querdenker nennen, Impfgegner und Rechtsradikale innerhalb und außerhalb der AfD dieses Privileg bis an die Grenze des rechtsstaatlich Erträglichen belasten.

Es ist eine Rarität, dass Geimpfte doch an Covid-19 erkranken und wenn, dann ist es ein sehr milder Verlauf. Von denen, die trotz Impfung infiziert werden, – und das sind sehr, sehr wenige - geht allenfalls ein hypothetisches Risiko aus, andere anzustecken. Vor allem sind Geimpfte mindestens für 6 – 8 Monate, wahrscheinlich sogar deutlich länger, durchgängig für andere ungefährlich. Das ist bei denen, die sich über einen Schnelltest den Zugang zum Friseur verschaffen, gänzlich anders. Ein Schnelltest, wenn er denn ordnungsgemäß durchgeführt wird (was ganz und gar nicht immer der Fall ist), bietet bekanntermaßen allenfalls für 5 – 6 Stunden Sicherheit. Anderslautende Informationen (24 h, gar 48 h oder nur 1x pro Woche) sind Wunschdenken, haben sich aber auch klischeeartig in den Medien verbreitet. Geimpften also ihre verfassungsmäßig verbrieften Freiheitsrechte ohne zwingende Begründung zu verweigern, dürfte keiner Klage vor Gericht standhalten. Die Wahrnehmung dieser Rechte als Privileg zu bezeichnen, zeigt eigentlich, wie sehr unsere freie Presse sich schon an die Einschränkung unserer Freiheitsrechte gewöhnt hat.

Diese Woche war ich im Baumarkt. Ich gebe zu, es war ein tolles Gefühl, einfach nur mit dem Vorzeigen des Impfausweises wieder eingelassen zu werden. Nur die FFP2-Maske konnte mein glückseliges Dauergrinsen verbergen. Es ist für mich das Verständlichste auf der Welt, dass dieser Dauerlockdown für viele kaum noch zu ertragen ist. Den Impflingen im Impfzentrum sage ich immer, die regelhafte Nebenwirkung der Impfung ist eine Woche Euphorie. Es wäre doch völlig unnormal, diesen Moment der wiedergewonnen Freiheit nicht herbeizusehnen.

Ich sehe ein, unter den gegebenen Verhältnissen der Impfstoffknappheit war eine Priorisierung unumgänglich. Mittlerweile jedoch läuft der Impfzug auf Hochtouren und die Menschen wollen endlich geimpft werden. Als Minister Laumann zu Ostern ein paar Hunderttausend AstraZeneca-Impfungen freigab, waren die innerhalb von zwei Tagen vergeben. Ich traf in einem Impfzentrum ein auf Mallorca lebendes Ehepaar, das sogar extra von dort angereist war. Vor allem steigen jetzt die niedergelassenen Haus- und Fachärzte sowie die Betriebsärzte ein. Sie haben innerhalb kürzester Zeit das Impftempo ziemlich mühelos verdoppelt und könnten, wenn man sie denn nur ließe, noch einmal eine gehörige Schippe drauflegen. Eigentlich ist es ein Glück, dass es so viele Impfwillige gibt, leider derzeit noch mehr als Impfstoff.

Ich bezeichne unser Krankenversicherungssystem gerne als die 'Mutter aller Flatrates'. In einem Gesundheitswesen, in dem der Normalverbraucher seit Jahrzehnten darauf trainiert wird, seine Wünsche durch entsprechendes Drängeln zu maximieren, darf man sich nicht wundern, wenn jetzt viele ihrer Kreativität freien Lauf lassen, um mit einer schnellen Impfung ihre Freiheiten zurück zu bekommen. Angesichts der Frustration, unter der nach 15 Monaten Pandemie wohl alle leiden, zeigt der bislang noch moderate Druck der Ungeduldigen, dass Deutschland alles in allem doch ein zivilisiertes Land ist.

Sicher, die Impfdrängler werden fordernder. Es ist nervig, jeden Tag Diskussionen zu führen mit Leuten, die jetzt unbedingt schnell geimpft werden wollen, obwohl sie noch nicht an der Reihe sind. Da kann die Stimmung schon mal aggressiv werden. Allerdings ist die Impfpriorisierung mittlerweile so unüberschaubar geworden, dass es selbst für Ärzte und die Fachkräfte in den Impfzentren immer schwieriger wird, das Regelwerk korrekt anzuwenden. Da ist es dann fast zwangsläufig, dass es für Laien nicht mehr nachvollziehbar ist, warum der eine schneller an der Reihe ist als der andere. Und es öffnet Tür und Tor für allerlei Schummelversuche. Es fällt mir schwer, da gleich von Betrug zu sprechen und die große Keule des Strafrechts zu schwingen. Auch Eugen Brysch, der Chef der „Deutschen Stiftung Patientenschutz“, ist letztlich nur ein Lobbyist, der sich gerne aufpumpt, wenn er Sorge hat, dass seiner Interessenvereinigung etwas entgehen könnte. Angesichts des eher moderaten Problems der Impfdrängler, das sich zudem in den nächsten 2 – 3 Monaten von selbst erledigt, wäre ein gesetzgeberisches Verfahren mit Änderung des Strafrechts und daraus folgender Belastung (oder sollte man besser sagen Belästigung) der Gerichte wohl ein ziemliches Theater um fast nichts.

Wesentlich ärgerlicher sind nach meinem Empfinden die älteren Patienten, die eine Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff ablehnen. Es sollte doch mittlerweile bekannt sein, dass Fahrradfahren deutlich gefährlicher ist, als diese Impfung. Dazu geht es bei den über 60-Jährigen vordringlich darum, nicht mit SARS-CoV2 infiziert zu werden, weil sie ein wesentlich höheres Risiko haben, zu erkranken und zu sterben. Gerade dafür ist der AstraZeneca-Impfstoff exzellent geeignet. Die Hirnvenenthrombosen sind gerade bei Älteren eine fast zu vernachlässigende Gefahr. Akut allergische Reaktionen bei Biontech oder Moderna sind zwar auch sehr selten, aber deutlich häufiger als Hirnvenenthrombosen bei über 60-Jährigen. Es sollte klargestellt werden und zwar von den politisch Zuständigen: Wer die angebotene Impfung mit AstraZeneca ablehnt und einen anderen Impfstoff verlangt, muss sich hinten anstellen und warten, bis er/sie an der Reihe ist. Es ist schon ziemlich billig, die Lösung dieses Problems den Hausärzten „unter die Weste“ zu schieben. Auch Herrn Brysch würde es gut zu Gesicht stehen, wenn er sich in dieser Frage einsetzen würde.

Vielleicht wäre es aber schon wirksam, würde man die Erstimpfung mit AstraZeneca der Einmalimpfung mit Johnson&Johnson gleichstellen. Der Schutz vor Erkrankung ist nämlich in beiden Fällen nach einer Impfung fast identisch. Da ist es schwer nachzuvollziehen, wenn man nach der Erstimpfung mit AstraZeneca noch drei Monate auf seine verfassungsmäßigen Rechte warten muss.

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Wer sich einer Impfung allerdings vollständig verweigert, somit eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt, sollte doch nicht ernsthaft damit rechnen dürfen, irgendwann die gleichen Freiheitsrechte wie Geimpfte zu erhalten. Dieses Virus wird uns mit allen seinen Risiken nämlich noch für Jahre begleiten.

| Autor: Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey