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Doktor machs weg.

Zwangsjacke Kassenmedizin

Unlängst habe ich eine bemerkenswerte Kollegin kennengelernt. Sie ist Hautärztin und hat sich bei uns im Ruhrgebiet in einer reinen Privatpraxis niedergelassen. Eine hautärztliche Kassenarztpraxis lässt sich aufgrund der üblichen Budgetierung (ca. 14 Euro pro Fall) nur mit „5-Minuten-Medizin“ wirtschaftlich führen. Das wollte die Kollegin sich und ihren Patienten nicht antun. Sie hat deshalb von Anfang an auf eine Kassenzulassung verzichtet.

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Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey.

Nun sind im Ruhrgebiet die Privatpatienten nicht so häufig und auch nicht so reich, wie in den Nobelecken von Düsseldorf, Köln oder am Starnberger See. Wenn man sich hier ohne eine Kassenzulassung niederlässt, erfordert das unternehmerischen Mut und fachliche Kompetenz. Ohne einen angemessenen Service und ohne eine überzeugende medizinische Dienstleistung kann man mit einem derartigen Konzept nicht überleben. Die Kollegin findet ihre Patienten auch keineswegs nur bei den reinen Privatpatienten. Im Grunde ist ihr der Versichertenstatus ihrer Patienten egal. Das gängige Honorar schwankt zwischen 30 und 100 Euro. Auch der normale Kassenpatient gerät mit derartigen Summen kaum in den wirtschaftlichen Ruin.

Wenn in Ausnahmefällen die Honorarsumme höher zu werden droht und es sich um Leistungen handelt, die auch von der GKV bezahlt werden, überweist sie Kassenpatienten gegebenenfalls auch zum Kassenarzt. Sie kann mit diesem Konzept in unseren Breiten zwar keine immensen Reichtümer zu erwerben, aber ihre Benotungen in den gängigen Bewertungsportalen im Internet sind exzellent und ihre Praxis floriert.

Ein anderer Bekannter ist ebenfalls Hautarzt. Vor 25 Jahren hat er sich auf die Entfernung von Tätowierungen mit der jeweils modernsten Technik spezialisiert. Das ist, unabhängig vom Versichertenstatus, immer eine Privatleistung und zwar eine ziemlich teure. Die meisten seiner Patienten sind der unteren bis mittleren Einkommensklasse zuzuordnen. Die Nachfrage ist dennoch enorm und er ist damit reich geworden.

Ich kenne mehrere Orthopäden, die ihre Entscheidung, die Kassenzulassung zurück zu geben, niemals bereut haben. Sie verdienen kaum weniger, können dafür aber eine bessere Arbeit mit größerer Befriedigung abliefern. Auch bei ihnen sind die Reichen keineswegs die Mehrheit unter den Patienten. Aber es gibt genügend Normalverdiener, die so großen Wert auf eine, vor allem zeitlich angemessene, Beratung legen, dass sie bereit sind dafür privat zu bezahlen.

In der Zahnmedizin haben sich die gesetzlichen Krankenkassen schon vor Jahrzehnten auf die Versorgung des medizinisch absolut Notwendigen beschränkt. Man muss für sein Gebiss nicht unbedingt die höchste Luxusversorgung wählen, um bereits mit gehörigen Privatanteilen in Anspruch genommen zu werden. Es verblüfft mich immer wieder, welch Unsummen Menschen unterer Einkommens-Kategorien bereit sind, zu berappen, nur um ein Lächeln wie Thomas Roth präsentieren zu können.

Es erstaunt mich nicht weniger, wie viel Geld in allerlei Mucki-Buden und Sonnenstudios getragen wird. Wenn ich die freitags erscheinende Fernsehprogrammbeilage unserer regionalen Tageszeitung durchblättere, finde ich dort riesige Annoncen für Wundermittel, die Freiheit von Rheuma, Schlaflosigkeit, Altersbeschwerden und Cellulite versprechen. Die Zielgruppe dieser Produkte dürften in ihrer großen Masse Kunden einer gesetzlichen Krankenversicherung sein.

Wenn man den gängigen Vorstellungen folgen würde, müsste man den Privatpatient wie folgt beschreiben: Er hat maßlose Ansprüche, verlangt von allen Unterwürfigkeit, wird vom Chauffeur in einer Luxuslimousine kutschiert und man rollt ihm, wo auch immer er auftaucht, einen roten Teppich aus. Er beschäftigt einen Leibarzt und hat ein privates Wartezimmer, das er nicht braucht, weil er immer sofort drankommt. Er bekommt die beste Medizin, deshalb wird er hundert Jahre alt. Es mag solche Menschen geben, bei uns im Revier sind sie (zum Glück) sehr, sehr selten. Vor allem aber wäre es verwegen, auf dieser Zielgruppe eine Existenz aufbauen zu wollen. Privatversicherte in unseren Breiten sind Beamte oder Selbstständige. Dazu gehören auch die ehemaligen Post- und Bahnbeamten. Sie alle sind so genannte Selbstzahler. Privatpatienten gehören bei uns nicht zu den Superreichen, aber sie sind, wie man so sagt, wohlsituiert und nicht selten in der gesetzlichen Krankenkasse.

In den Bereichen der Gesundheitswirtschaft, die nicht von der Philosophie der gesetzlichen Krankenversicherungen stranguliert sind, ist der Normalverbraucher durchaus der Regelpatient. In der Tat mögen das nicht die allerärmsten Teile unserer Bevölkerung sein. Es sind aber gewiss auch nicht die Superreichen, die diese Szene beherrschen.

Wer als Geringverdiener sich ein Tattoo stechen lässt, bekommt das in der Regel nicht kostenlos. Es wäre ein Witz, wenn das Körpergemälde dann nicht mehr gefällt, ihm später die Entfernung dieser Verunstaltung zu Lasten der Allgemeinheit zu ermöglichen, nur weil er den „Status“ des „sozial Schwachen“ hat. Unsere Sozialsysteme müssen ein würdiges Leben sichern. Dazu gehört selbstverständlich die Versorgung mit dem gesundheitlich Notwendigen.

Es ist für mich aber ebenso ein Witz, diejenigen, die Leistungen über das absolut lebensnotwendige Maß hinaus zu eigenen Lasten in Anspruch nehmen möchten, mit einem Konsumverbot zu belegen. Gleichwohl herrscht in der Politik im Allgemeinen und der Gesundheitspolitik im Besonderen die Tendenz, den Durchschnittsverdiener als vermögend zu diskriminieren. Dann darf man ihm getrost etwas wegnehmen. Dem „sozial Schwachen“ geht es dadurch zwar nicht besser, aber er hat auch keinen Grund mehr, sich zu ärgern. So verkommt die gesetzliche Krankenversicherung zur Zwangsjacke.

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Das Krebsgeschwür der Gesundheitswirtschaft ist die fehlende finanzielle Eigenverantwortung der Konsumenten Sie verletzt die Menschenwürde und kostet unendlich viele Milliarden.

| Autor: Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey