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Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey.

Kolumne von Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey

Es ist ein Geschäft, nichts anderes ...

Immer wieder wird kritisiert, die Anbieter im Gesundheitswesen (Ärzte und Krankenhäuser, Apotheker und Pharmaindustrie, um nur die wichtigsten zu nennen) hätten nur das wirtschaftliche Ergebnis im Auge. Das Erste jedoch, was Ärzte, die sich in eigener Praxis niederlassen, begreifen müssen, ist, dass sie kein Gehalt mehr bekommen. Ihre Renten- und Krankenversicherung wird nicht mehr automatisch eingezogen, ihre Nachtdienste werden nicht mehr auch dann bezahlt, wenn sie (ausnahmsweise) mal schlafen können. Die niedergelassenen Ärztinnen werden auch dann zum Notdienst herangezogen, wenn sie schwanger sind. Im Mutterschutz – den es für niedergelassene Ärztinnen eigentlich nicht gibt - bekommen sie keine Gehaltsfortzahlung.

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Bekamen die Ärzte als Angestellte Urlaubsgeld, müssen sie im niedergelassenen Status zu den Kosten des Urlaubs noch Umsatzeinbußen hinzurechnen. Geld verdienen die niedergelassene Ärzte nur, wenn sie in ihrer Praxis arbeiten. Der Arzt ist das Produkt, das in der Praxis verkauft wird. Im Krankheitsfall läuft aber die Praxismiete weiter, auch die Mitarbeiterinnen wollen ihr Gehalt. Selbst die Banken verzichten im Krankheitsfall nicht auf Schuldentilgung für den Praxiskredit.

Auch wenn die im ärztlichen Angestellten-Verhältnis notwendigen Überstunden von den Arbeitgebern nur widerwillig zur Kenntnis genommen werden, finden niedergelassene Ärzte hierfür allenfalls die Kritik ihrer Familie geschweige denn einen Ansprechpartner, an den sie eine Forderung auf Vergütung richten könnten. Dafür merken sie aber schnell, mit welchen Dienstleistungen sie die Rentabilität ihrer Praxis verbessern können. Schon sind sie mitten im Geschäft.

Die Ärzte müssen also etwas werden, was sie nie gelernt haben: Unternehmer, die ein Produkt, nämlich ihre medizinische Dienstleistung, verkaufen. Je mehr sie davon verkaufen können, desto besser fürs Geschäft. Sie sind also den Gesetzen des Marktes ausgeliefert. Da müssen sie sich überlegen, an welche Zielgruppe möchten sie sich wenden, welche Leistungen können sie wo anbieten. Sehr schnell müssen sie begreifen, dass ihre Kundschaft nur nominell Patienten (lateinisch, zu deutsch Duldende) genannt werden. In Wirklichkeit sind sie Kunden, die konsumieren.

Bekanntermaßen unterscheidet sich das Konsumverhalten der Bevölkerung nach den verschiedensten Kriterien: jung oder alt, männlich oder weiblich, reich oder arm, gebildet oder bildungsfern, Deutscher oder Migrationshintergrund, angestellt oder selbständig etc. pp. Mit einer Praxis in einer kleinen Zechenwohnung kann man an der Düsseldorfer Königsallee keinen Privatpatienten gewinnen, eher schon geht der gemeine Kassenpatient in eine Praxis à la Kö, wenn diese in der Wanne-Eickeler Fußgängerzone angesiedelt wäre. Allerdings ist die Frequenz der zahlungsbereiten Kundschaft dort so überschaubar, dass der alsbaldige Konkurs absehbar wäre.

Der hochspezialisierte Facharzt, der auf Überweisungen von hausärztlichen Kollegen angewiesen ist, sollte sich eher in Stadtzentren mit guter Verkehrsanbindung niederlassen als am Stadtrand oder auf dem Dorf, auch wenn es dort noch so kuschelig ist. Dafür sollte eine Hausarztpraxis von möglichst vielen Kunden fußläufig erreichbar sein. Der abgehobene Schöngeist wird in einem akademisch geprägten Umfeld eher reüssieren als in einem Arbeiterviertel. Die bodenständige Persönlichkeit, die auch über die Interna von Schalke oder Borussia informiert ist, dürfte in Unser Fritz besser klar kommen.

Nicht zuletzt muss der niederlassungswillige Arzt auch die moralischen Standards, die er bedienen möchte, an Kriterien des Marktes ausrichten. Will er nur seriöse Medizin verkaufen oder auch Gefälligkeit. Bescheinigt er die Arbeitsunfähigkeit nur bei tatsächlichem Vorliegen einer solchen oder bedient er auch die Klientel, die sich nicht geniert, bei Frust am Arbeitsplatz einen „Schein zu nehmen“. Die Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung tut zwar so, als wäre sie ein amtliches Dokument. In Wirklichkeit ist auch sie ein Dienstleistungsprodukt.

Im Gesundheitsmarkt konsumieren die Kunden/Patienten die von ihnen gewünschten Produkte bei Ärzten und Psychologen, Krankenhäusern und Kurkliniken, Apotheken und Pharmaindustrie, Sanitätshäusern und Physiotherapeuten, um nur die wichtigsten zu nennen. Alle Akteure im Gesundheitsmarkt befinden sich in einem marktwirtschaftlich funktionierendem System. Es handelt sich jedoch nicht um einen normalen Markt, in dem der Preis das Kundenverhalten regelt.

Es ist sicher eine soziale Errungenschaft, dass sich kaum ein Kunde Gedanken darüber machen muss, wie viel im Krankheitsfall sein Medikament oder seine medizinische Dienstleistung kostet. Entscheidend in einem normalen Geschäft ist aber die Verantwortung sowohl des Verkäufers als auch des Käufers. Der Verkäufer muss für die vereinbarte Qualität haften, der Käufer für die Bezahlung. Dieser Gesundheitsmarkt aber befreit durch sein Bezahlsystem via Chipkarte sowohl den Konsumenten als auch den Anbieter von der individuellen Verantwortung. Da wird dann verkauft, was die Nachfrage aufnehmen kann und es wird konsumiert, was das Angebot hergibt – auf Teufel komm heraus.

Man muss ja nicht über Preise und Qualitäten diskutieren.

Die persönliche Verantwortung für die Folgen einer Handlung muss für jeden nahe liegend und zwangsläufig sein, sonst beeinflusst sie das Verhalten nicht. Der Markt im Allgemeinen funktioniert wie Wasser, das dorthin fließt, wo es nicht durch natürliche oder künstliche Hindernisse aufgehalten wird. Wenn die natürlichen Hindernisse im Verhalten der Konsumenten und Anbieter nicht ausreichen, einen Markt zu regulieren, muss die Politik durch Gesetze Dämme bauen, die den Markt in die gewünschte Richtung fließen lassen.

Es werden in einer modernen Industrie-Gesellschaft billionenfach unnütze Produkte verkauft, die kein Mensch braucht, für die es aber eine Nachfrage gibt. Wenn eine Branche ungestraft z.B. Kaffeemaschinen mit kalkuliert begrenzter Haltbarkeit produzieren darf, damit Ersatzbeschaffungen nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag aufgeschoben werden, wäre sie blöd, wenn sie ewig haltbare Produkte herstellen würde. Es ist Sache der Politik, dies als Kundentäuschung zu sanktionieren.

Es ist genauso naiv zu glauben, für eine Industrie wie die Pharmabranche sei das Wohl der Menschheit der eigentliche Anreiz. Der Nutzen für die Menschheit ist gegenüber dem Kundenwunsch zu vernachlässigen. Die Pharmabranche liefert die Produkte, die sie mit Gewinn absetzen kann. Sie forscht in den Bereichen, in denen sie ein Geschäft erwartet. Ist absehbar, dass die Kosten einer Entwicklung sich nicht über den späteren Verkauf amortisieren, wird sie sich damit nicht befassen.

In den Krankenhäusern hat es seit Einführung der Fallpauschalen explodierende Fallzahlen gegeben. Wo zuvor die Verweildauer der wirtschaftliche Anreiz war, ist es nun der Fall an sich. Aufgrund der Komplexität der stationär behandelten Fälle können verschiedenste Fallpauschalen abgerechnet werden.

Die Generierung und Dokumentation von Fallpauschalen hat die Berufsinhalte der Klinik-Ärzte massiv verändert. Sie hat sogar zu ganz neuen Berufsbildern im Krankenhaus geführt, die sich nur mit der Optimierung der Abrechnung befassen. Grundlage der wirtschaftlichen Kalkulation eines Krankenhauses ist nunmehr, so viele Fallpauschalen wie machbar in einer möglichst kurzen Verweildauer unterzubringen. Neben einer enormen Arbeitsverdichtung des Krankenhaus-Personals hat das zu einer unfassbaren Steigerung von Op-Zahlen geführt. Letztlich hat diese politische Entscheidung, die die Kosten senken sollte, zu steigenden Kosten ohne Verbesserung der Effizienz geführt.

Ebenso, wie die Anbieter von medizinischen Produkten, handelt auch der Endverbraucher, also der Patient, nach seinem subjektiven Interesse. Je geringer sein Kostenrisiko, desto stärker sein Konsumwunsch.

Bedauerlicherweise hat sich kein Verständnis für die Fehlfunktion des Gesundheitsmarktes in der Öffentlichkeit, insbesondere in den Medien, durchgesetzt. Pauschal werden fast ausschließlich diejenigen, die ihre Rendite im Gesundheitsmarkt erwirtschaften, als Ursache des Problems dargestellt. Als Beispiel für ein gestörtes Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage, Wahrnehmung politischer Verantwortung, aber auch von Fehleinschätzung durch Medien sei der millionenfache Missbrauch vor Psychopharmaka genannt.

Anfang Juni erschien in der „Zeit“ ein lesenswerter Artikel über unterschiedliche Sucht-Karrieren. Zu den Ursachen schreibt die Autorin jedoch: „Die Pharmaindustrie verkauft Bestseller, die Behörden haben ihre Ruhe, die Ärzte genug Patienten“ (Zitat „Die Zeit“, Nr. 24). Die Autorin verkennt, dass der Gesetzgeber und nicht die Anbieter von Produkten für die Funktion des Gesundheitsmarktes zuständig sind. Eine Krankenhaus-Verwaltung wie das Management eines Pharmaunternehmens, der Arzt wie der Psychologe, der Apotheker wie das Sanitätshaus, der Krankengymnast wie der Logopäde und nicht zuletzt auch jede Krankenkasse sind im Rahmen der rechtlichen Vorgaben und der Zwänge des Marktes für die Wirtschaftlichkeit ihrer Unternehmen verantwortlich.

Moralische Argumente und Entrüstung über tatsächliches oder vermeintliches Fehlverhalten mögen je nach Interessenlage vielleicht für politisches Marketing oder Lobbyisten-Argumente brauchbar sein. Den Fluss des Marktes kann man damit nicht beeinflussen. Es liegt nicht in der Verantwortlichkeit eines Wirtschaftunternehmens, wirtschaftliche Entscheidungen an dem Nutzen für die Menschheit auszurichten. Die Politik hat dafür zu sorgen, dass nur solche wirtschaftlichen Aktivitäten für ein Unternehmen Sinn machen, die der Bevölkerung dienen.

Eine Besonderheit in diesem Wirtschaftszweig ist das Arzt-Patientenverhältnis. Im Gegensatz zu den anderen Unternehmern im Gesundheitswesen baut der Arzt allein schon durch den persönlichen Kontakt eine Beziehung zu seinen Patienten auf. Das führt dazu, dass keineswegs die eigentlich erforderliche wirtschaftliche Kalkulation permanent im Vordergrund steht. Wenn Ärzte nicht auch massenhaft Leistungen ohne eine Honorarerwartung erbrächten, würde das System vermutlich sogar zusammenbrechen.

Wer kritisiert, dass die Anbieter von Gesundheitsprodukten nach den Gesetzen der Marktwirtschaft die Gewinnmaximierung anstreben, hat das System nicht verstanden. Wer beklagt, dass für Ärzte der wirtschaftliche Erfolg ihrer Praxis einer der wesentlichsten Faktoren ihrer Unternehmensplanung ist, mag das System ändern.

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Für mich ist ein staatliches Gesundheitswesen, in dem Ärzte nicht mehr unternehmerisch handeln müssen, keineswegs eine Horrorvorstellung. Ein derartiges System käme aber kaum umhin, den darin Beschäftigten, Ärzten wie Hilfspersonal, die Standards des öffentlichen Dienstes wie 38-Stunden-Woche, Urlaub mit Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld, Fortbildung, Lohnfortzahlung, Überstundenvergütung und dergleichen zu gewährleisten. Es ist kaum wahrscheinlich, dass ein solches System die gewohnten Konsumbedürfnisse der Bevölkerung bedienen könnte. Ob es dabei kostengünstiger sein könnte als das derzeitige System, erscheint mir höchst fraglich.

| Autor: Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey