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Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey.

Kolumne von Dr. Gerd Dunkhase

Das ewige Theater um Totenscheine

Vor wenigen Tagen wurde in Gelsenkirchen eine 92-jährige Patientin eines Pflegeheims vom Arzt des Notdienstes irrtümlich für tot erklärt. Beim Bestatter wachte sie im Kühlraum wieder auf und starb dann zwei Tage später im Krankenhaus. Das ist eine schreckliche und makabre Geschichte für die Patientin, die Angehörigen und den Bestatter. Am wenigsten möchte ich aber in der Haut des Kollegen aus dem Notdienst stecken, dem dieser fatale Fehler unterlaufen ist.

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Der beteiligte Bestatter äußert sich in der WAZ dahingehend, dass ein zweiwöchiges Fachseminar für die Leichenschau zu wenig sei. Ich erinnere mich nicht mehr genau, wie lange meine diesbezügliche Ausbildung an der Universität dauerte. Allerdings gehört die Feststellung des Todes an sich auch nicht zu den schwierigsten medizinischen Problemen.

Es ist jedoch ein weit verbreiteter Irrtum, dass zur Leichenschau obligat die Klärung der Todesursache gehört. Mit der Approbation muss jeder Arzt, egal ob Augenarzt, HNO-Arzt, Labor-Arzt, Radiologe oder sonst eine Fachdisziplin, in der wenig gestorben wird, nur den Tod an sich sicher konstatieren können. Das ist die einzige klinische Aufgabe, die jeder, der sich Arzt nennen darf, beherrschen muss - mehr nicht! Zwar suggeriert die Aufmachung der Totenschein-Formulare, häufig auch das Verhalten der Behörden, einen derartigen Anspruch. Eine rechtliche Pflicht, mehr als den Tod zu bescheinigen, besteht nicht.

Natürlich ist es für alle Beteiligten, seien es die Angehörigen, die Bestatter und nicht zuletzt auch die Polizei am angenehmsten, wenn alles bis zur Beerdigung reibungslos abläuft. Aber dafür muss die Leiche nicht nur tot sein, sie muss auch eindeutig identifiziert werden können, und es muss sichergestellt sein, dass ein natürlicher Tod vorliegt. Diese Rechtslage ist eindeutig und seit Jahrzehnten unverändert.

Die ärztliche Ausbildung bedarf meines Erachtens in dieser Problematik keiner Aufstockung. Allenfalls würde ich den jungen Kollegen dringlichst klar machen, dass man sie zu keinerlei kriminalistischen Aufgaben bei der Leichenschau verpflichten kann. Wenn sie nur die geringste Unklarheit - ein echter Zweifel ist nicht erforderlich - an der Identität des Verstorbenen oder der Todesursache haben, ist die Polizei gefordert. Diesbezüglich erscheint mir die Kenntnis der Bestatter über die ärztlichen Pflichten bei der Leichenschau durchaus der Verbesserung zu bedürfen.

Ich erinnere mich noch sehr genau an eine Situation, als ich als junger Arzt im ärztlichen Notdienst zu einem Verstorbenen gerufen wurde, bei dem mir zur Identifizierung nur ein etwa 30 Jahre alter Personalausweis vorgelegt wurde. Der darin Abgebildete hatte nicht mehr die geringste Ähnlichkeit mit dem Toten. Deshalb habe ich zwar den Tod an sich festgestellt, aber weder die Identität des Toten noch die Ursache des Todes bescheinigt.

Der Bestatter konnte deshalb die Leiche nicht mitnehmen und musste die Polizei, die auch nicht beglückt reagierte, bemühen. Die Angehörigen hätten mich fast gelyncht. Mein Honorar für die Leichenschau musste ich auf dem Klagewege eintreiben. Wahrscheinlich habe ich noch Glück gehabt, dass nicht auch noch die Boulevard-Presse über mich hergefallen ist.

In einem anderen Fall wurde ich zu einer alten Dame gerufen, die offenbar schon seit etlichen Stunden tot war – die Leichenstarre war bereits eingetreten – und für den Bestatter hergerichtet worden war. Es fehlte halt nur noch der Totenschein mit der Bescheinigung des natürlichen Todes. Das konnte ich nach Lage der Dinge aber nicht garantieren. Der Bestatter war genervt, die Familie drohte mir rechtliche Schritte an und auch die Polizei bedrängte mich, doch den „offensichtlich“ natürlichen Tod zu bescheinigen. Zum Glück bin ich stur geblieben, denn bei der folgenden gerichtsmedizinischen Untersuchung stellte sich heraus, dass die alte Dame erstickt worden war.

Mit meiner juristischen Prinzipien-Reiterei bei der Leichenschau habe ich mir wenig Freunde gemacht. Angesichts der Statistiken, die eine beträchtliche Zahl unentdeckter Mordfälle aufgrund mangelhafter Leichenschau beschreiben, bin ich froh, dass ich in dieser Frage standhaft war.

Wenn derartige Ereignisse beschrieben werden, ist es immer bequem, den Arzt zu beschuldigen, der die Leichenschau durchführt. Völlig unberücksichtigt bleibt die Tatsache, dass seitens der Ermittlungs-Behörden, also der Polizei mit dem polizeiärztlichen Dienst und der politischen Szene kein besonderer Eifer zu erkennen ist, die Abläufe der Leichenschau grundsätzlich zu reformieren.

Für die Polizei ist es bequemer, den ärztlichen Notdienst als den Polizeiarzt zu bemühen. Vielerorts wird regelmäßig sogar der Rettungsdienst nur für die Ausstellung des Totenscheins gerufen, auch wenn aufgrund fortgeschrittener Verwesung selbst für den Laien der Tod an sich unzweifelhaft ist. Das ist nicht nur fahrlässig, weil jede Blaulichtfahrt auch gefährlich ist. Die Alarmierung des Rettungsarztes ohne erkennbaren Notfall ist meines Wissens strafbar.

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Es spräche - auch nach Aussage etlicher Gerichtsmediziner - vieles dafür, einen polizeiärztlichen Leichen-Beschauer mit entsprechenden hoheitlichen Vollmachten und kriminalistischer Ausbildung einzuführen. Wenn man aber bedenkt, dass schon eine gerichtsmedizinische Obduktion nicht unter 2000 Euro zu haben ist, kann man sich leicht vorstellen, welche Kosten durch eine derartige Institution produziert würden.Da ist es unter dem Strich doch komfortabler, im Wesentlichen alles beim alten zu belassen und die Verantwortung wieder mal den Ärzten unter die Weste zu schieben.